Zum Inhalt springen

„Weil Du den Kapitalismus nicht so sehr hasst wie ich!“

Gute acht Wochen bis zur Bundestagswahl 2021 verbleiben noch. Wir richten den Blick einmal nach vorn und schauen näher hin.

Anzeige

Interessanterweise – und so nicht zu erwarten – haben die Deutschen im Jahr 2020 ihre Aktienliebe nicht vor dem Crash entdeckt, sondern erst im Crash. Warum, ist uns bis heute nicht ganz klar. Möglicherweise muss die Erklärung tatsächlich darin zu suchen sein, dass alle Alternativen im realen Leben abgeschaltet wurden, von Fußball-Bundesliga bis hin zu den damit verbundenen Fußballwetten, vom Kasino bis zur Wettbürokneipe um die Ecke, von allen Gemeinschaftssportarten bis hin zu den allgemeinen Ablenkungen des Alltags.

Oder aber es liegt tatsächlich auch daran, dass wir eben eine komplette Generation weiter nach der Dot-Com-Blase sind. Eine Generation, die zwar gefühlt im Wesentlichen nur Krise kennt (das sollte grundsätzlich aber auch für viele Phasen des 20. Jahrhunderts gegolten haben), die aber auch in den letzten Jahren bereits mitbekam, dass viele Aktien stark gestiegen sind. Dass Aktien also durchaus mal einen Blick wert sein können und nicht zwingend nur Spekulation sein müssen. An dieser Stelle teilt sich das Parteienspektrum mit Blick auf die Bundestagswahl nun in zwei Lager. Befürworter und Gegner letztlich der Vorstellung, aus Geld mehr Geld machen zu können. Die das Kapital entweder als Werkzeug oder als Problem betrachten.

Anzeige

Zu den Programmen der Unionsfraktionen und der FDP ist an sich nicht viel zu sagen, denn es steckt – aus Aktionärsperspektive – viel Gutes drin. Wenn auch nur die Hälfte davon angegangen wird, wäre die unerfreuliche Trendrichtung der finanzministeriellen Scholz-Regentschaft gestoppt. Der Plan der Union, die Unternehmenssteuern zu senken, dürfte einerseits für einen kurzen positiven Kurseffekt auf deutsche Aktiengesellschaften sorgen – wenn sie denn tatsächlich kommen sollte. Andererseits ließen sich die Steuern bei Lichte betrachtet nur beim Körperschaftsteuersatz senken, da es bei der Gewerbesteuer zu viele Begehrlichkeiten anderer föderaler Ebenen gibt. Eine Körperschaftsteuersatzsenkung würde uns bei unserer Sparschwein-UG ebenfalls von bereits niedrigem Niveau um weitere 33 % entlasten. Wir würden auf Aktiengewinne nur noch 0,5 % Steuern bezahlen (statt bisher: 0,8 %) und auf Dividenden 10,6 % (statt bisher: 15,8 %). Negativ würde sich die Steuersenkung dagegen bei uns wahrscheinlich auf die Anrechenbarkeit ausländischer Quellensteuern auswirken.

Die FDP geht sogar noch weiter und will neben einer Anhebung des Sparerfreibetrags auch die Spekulationsfrist wiedereinführen. Eine Spekulationsfrist ist aus unserer Sicht wesentlich ausschlaggebend für die Frage, ob sich eine eigene vermögensverwaltende Gesellschaft lohnt. Bleibt aber alles, wie es nun seit 2009 ist, drängen sich Gestaltungsoptionen zur Optimierung der Steuerlast bei der Vermögensbildung weiterhin auf. Man kann nicht oft genug betonen, wie dramatisch wichtig es ist, die Zinseszinskurve gerade am Anfang des Prozesses möglichst unbeeinflusst von Kosten und Steuern zu halten.

Bei den Grünen scheint aus heutiger Perspektive fraglich, ob sie die entscheidende Rolle spielen werden, da sich die Kandidatin bislang in schöner Regelmäßigkeit in regelrechte Fettnäpfe begibt. Ausdrücklich nicht im Diminutiv, da selbstverschuldet und mit unfassbarer Unnötigkeit.

„… hat diese Partei eine neue politische Form geschaffen, eine Form, die jetzt zeitgemäß ist wie keine andere, die eine quasi osmotische Verbindung zur Wirklichkeit herstellt, wo die progressiven Kräfte rein diffundieren können in die Partei, wo wir die Energie aufnehmen können, wir aber gleichwohl wie durch eine Membran getrennt sind von einer reinen Bürgerbewegung.“
Robert Habeck, Parteitag der Grünen, November 2019

Das Quasiosmotische scheint sich nun hinsichtlich des Wählerzuspruchs deshalb doch eher zum Semipermeablen zu entwickeln. Doch werfen wir noch einen Blick in das Parteiprogramm:

Anzeige

Kapitalerträge werden unter Beibehaltung des Sparerfreibetrages mit dem individuellen Steuersatz veranlagt. Banken und andere Finanzinstitute behalten weiterhin Kapitalertragsteuer ein, die eine Vorauszahlung auf die persönliche Einkommensteuer darstellt. Für auf Unternehmensebene bereits versteuerte Einkommen wie Dividenden gilt wieder generell das Teileinkünfteverfahren, das die Kapitalerträge auf Anlegerebene teilweise steuerlich freistellt. Aktienkleinanleger*innen entlasten wir so spürbar und nähern uns dem Ideal eines finanzierungsneutralen Steuersystems an.
Bundestagswahlprogramm 2021

Ein Ideal bitte von was? Egal. Hauptsache ein origineller und so noch nicht gelesener Genderismus. Aktionäre sollten mit den Grünen offenbar nicht viel zu befürchten haben. Im Ergebnis dürfte sich nichts ändern, denn bei beiden Rechenvarianten kommt eine effektive Steuer von grob 25 % heraus – das haben nur noch nicht alle Steuerpopulisten mitbekommen. Für Zinsempfänger wie z.B. P2P-Anleger oder Terminmarktspekulanten gilt das freilich nicht. Diese werden mit diesem Programm eher Anreize zur Verlagerung der Einkünfte in eine eigene vermögensverwaltende Gesellschaft verspüren.

Lächerlich wird es dann mit dem Großkonzernpopulismus, wenn es auf Seite 38 heißt, sie würden Gewinne „durch Buchungstricks“ in „Steuersümpfe“ verschieben. Diesen „Buchungstrick“ wüssten wir gerne – wenigstens einen. Allerdings zeigt bereits die enthemmte Sprache, dass das ganz offenbar nicht Kernkompetenz der Grünen ist. Nicht nachvollziehbar ist ebenfalls, warum die Grünen eine exorbitante sprachliche Sensibilität einfordern – was unter die von Robert Habeck konstatierte „moralische Arroganz“ der Grünen zu subsumieren sein sollte -, es dann aber andererseits offenbar völlig ok ist, „Tricks“ und damit Unlauterkeit zu unterstellen.

Unbestreitbar ist, dass eine – selbstverständlich in der unternehmerischen Praxis durchgeführte – Optimierung der Steuerlast zu einer Optimierung der Rendite führt. Dennoch bezahlt aber jeder einzelne Konzern jeden einzelnen Euro, den der Staat mit seinen Gesetzen verlangt. Wäre es anders, gäbe es ja Strafverfahren. Die heutige implizite politische Forderung, Konzerne sollen doch bitte nach moralischen Maßstäben Steuern zahlen, geht massiv fehl. Im Gegenteil ist es für den politischen Betrachter tragisch mitzuerleben, wenn die Exekutive ihre Handlungsunfähigkeit in solch erbärmlicher Weise demonstriert. Hashtag Fremdschämen.

Aus heutiger Sicht wird die Union als wohl regierungsbeauftragte Partei auf mindestens einen Partner angewiesen sein. Da dies soweit ersichtlich eher unwahrscheinlich allein die FDP sein wird, sollte man sich folglich sowohl mit den Grünen, als auch mit der SPD auseinandersetzen. Auch eine erneute Große Koalition erscheint nicht ausgeschlossen. Ob allerdings die Union ein weiteres Mal das Finanzministerium aus der Hand geben wird – insbesondere z.B. vor dem Hintergrund des Bündels an Klimamaßnahmen, das die Grünen auf jeden Fall in einen Koalitionsvertrag hineinverhandeln müssten – bleibt fraglich. Mit der SPD droht zwar eine weitere Legislaturperiode Scholz als Finanzminister, mit den Grünen könnte das Finanzministerium aber möglicherweise schwarz werden. Dass Olaf Scholz Kanzler wird, erscheint ausgeschlossen, dennoch wollen wir im Folgenden den Blick auch nochmal auf ihn als möglicherweise entscheidende Figur richten.

Anzeige

Zwar wurde bereits Thomas de Maiziere der Charme einer Büroklammer zugeschrieben. Welchen Charme aber versprühen dann die SPD und Olaf Scholz?

Quelle: twitter.de
Quelle: wikipedia.de

Doch Olaf Scholz hat nach all den Jahren zufällig ein beachtenswert offenherziges Interview bei Marvin Neumann auf Youtube gegeben, in welchem er konkret mit Kleinanlegervorwürfen hinsichtlich der geplanten Aktiensteuer konfrontiert wurde und gegen die er sich wehren musste:

So dürfte sich dieses Interview für Aktionäre als eines der wichtigsten Interviews der Finanzministerära Scholz herausstellen, der, wenn es schlecht läuft, im Herbst erneut Gefahr läuft, Finanzminister zu werden. Aber wie gesagt: wir sind wirklich dankbar für dieses Interview, da es schonungslos offenlegt, wie Scholz denkt. Dazu auch noch dieser Ausschnitt von Scholz bei Lanz und insgesamt an dieser Stelle noch die Empfehlung, sich die Reaction-Videos von Kolja Baarghorn zu Olaf Scholz anzusehen:

So wurde Scholz etwa direkt auf das Ziel der Transaktionsteuer angesprochen. Scholz geht an der Frage glatt vorbei und bügelt jegliche Kritik an der Finanztransaktionsteuer als Lobbyismus für Großanleger ab. Wir erinnern uns: alles, was mit einer Finanztransaktionssteuer eigentlich erreicht werden soll, wird mit der von Scholz geplanten Steuer nicht erreicht. Weder wird der Derivatehandel wirksam besteuert, noch wird der Hochfrequenzhandel bekämpft. Ungeachtet dessen: dass Derivate böse sind und Hochfrequenzhandel schlecht ist ebenfalls lediglich ein Narrativ und wird regelmäßig als faktisch in jedem Fall zutreffend dargestellt. Im Konkreten und im technischen Detail wird man sich darüber mit SPD-Politikern mangels Kompetenz jedoch sicher nicht unterhalten können. Deshalb stellt sich eigentlich die Frage, warum man von bestimmten politischen Maßnahmen so sehr überzeugt ist, obwohl man die Materie offensichtlich gar nicht durchdrungen hat.

Umso ärgerlicher ist es für Sachkundige, mit welcher Vehemenz hier gesellschaftspolitische Nebenkriegsschauplätze aufgemacht und liebevoll am Leben erhalten werden. Dem SPD-Narrativ vom guten, „hart arbeitenden“ Arbeiter auf der einen Seite wird permanent die Erzählung von „den“ „Reichen“ und der permanent böswilligen Finanzwirtschaft gegenübergestellt. Diese per-se-Stigmatisierung von Themen – Derivate, Hochfrequenzhandel – verhindert aber die berechtigte Diskussion und Kritik im Detail (vgl. das Buch Flash Boys*). Man nimmt der SPD eine sinnvolle und durchdachte Regulierung ohnehin nicht ab, da Derivate und Hochfrequenzhandel mit den Themen ihrer Kernwählerschaft ja gar nichts am Hut haben. Vielmehr drängt sich der Verdacht auf, mit latinisierter Finanzmarkt-Kampfrhetorik um sich werfen zu müssen, um sich nicht dem Vorwurf programmatischer Lücken ausgesetzt sehen zu müssen bzw. dem Vorwurf, dass der Kaiser womöglich gar keine Kleider an hat. Das ist die übliche und gewohnte Mikromanagementpolitik des Bullshit-Bingos, bei der sich die politische Diskussion ständig rund um eigens etablierte Reizworte dreht.

Anzeige

Zu überlegen ist doch vielmehr in systematischer Hinsicht, warum eine Finanztransaktion oder ein Aktienerwerb besteuert werden sollte. Scholz führt hier regelmäßig an, dass man auf den Kauf eines Brötchens beim Bäcker ja auch Steuern zahlt oder beim Kauf eines Buchs im Buchladen. Scholz übersieht aber, dass es sich hierbei um eine Verbrauchsteuer in Form der Umsatzsteuer handelt. Die Umsatzsteuer besteuert den privaten Endverbrauch (siehe auch unseren ersten Artikel dazu). Aktien können aber nicht privat „verbraucht“ werden, genauso wenig wie Derivate. Deshalb sind sie aus guten Gründen verbrauchsteuerbefreit.

Offensichtlich handelt es sich bei Finanztransaktionen ja um bloße Verschiebungen. Denn beim Brötchenkauf wechselt zwar das umsatzbesteuerte Brötchen den Verbraucher. Im Gegenzug wird aber ja ebenfalls Kapital übergeben, und diese Bargeldübertragungs-Finanztransaktion als Gegenseite der Medaille muss offensichtlich steuerfrei sein. Ansonsten kommt es zu einer Doppelbesteuerung derselben wirtschaftlichen Transaktion. Oder wenn der Geldautomat mal wieder nur 100er ausspuckt und man beim Blumenladen um die Ecke in 20er umtauscht: hat man sich dann 20-Euro-Scheine von seinen 100ern gekauft, also eine Finanztransaktion durchgeführt, die man idealerweise besteuern sollte? Man sieht also bereits, dass die Scholzsche Steuerpolitik jedenfalls in höchstem Maße unsystematisch ist, wenn man „Finanztransaktion“ mal wörtlich nimmt, auch wenn er nur eine einzige Variante des bunten Blumenstraußes an allen denkbaren Finanztransaktionen herausgepickt hat. Das Resultat dürfte bei einer solchen steuergesetzgeberischen Vorgehensweise notwendig in einer weiteren Vereinzelung von Sonderregelungen und Ausnahmen, Rückausnahmen und Ausnahmen von der Rückausnahme bestehen.

Blieben also beispielsweise Verkehrsteuern, wie es sie mit der Grunderwerbsteuer für Immobilien gibt. Schon heute ist sichtbar, wie stark die Grunderwerbsteuer Immobilieneigentum für die Masse verhindert. Bei der derzeitigen immobilienmarktseitigen Ausreizung der Grenze der finanziellen Belastbarkeit bei der Kapitaldienstfähigkeit kann es eben schon eine entscheidende Rolle spielen, ob ein Objekt 100 Geldeinheiten kostet oder 106,5. Warum man eine Steuer auf den reinen Rechtsverkehr erheben sollte, ist uns schleierhaft. In Österreich führt ein ähnliches System beispielsweise dazu, dass Verträge zum Teil mündlich oder im Ausland geschlossen werden, weil eine im Inland verfasste schriftliche Urkunde Abgaben auslösen würde. Ist das nicht lächerlich?

Nur warum sollte man den Aktienverkehr überhaupt besteuern? Dieselbe Frage könnte man allerdings auch im Immobilienkontext stellen. Es fehlt eben bei der Aktiensteuer an jeglicher sinnvoller Zielsetzung. Man möchte offenbar den Derivatemarkt nicht erreichen, obwohl man es könnte. Man möchte den Hochfrequenzhandel nicht besteuern, obwohl man es könnte. Alleiniger Zweck ist – soweit ersichtlich – irgendwie „die Reichen“ damit zu treffen und natürlich derjenige der Einnahmenerzielung für den Bundeshaushalt. Aber gerade das lässt sich dem Steuerzahler in Zeiten international steigender Mobilität eben immer schlechter verkaufen. Und deshalb wird es mit der deutschen Aktiensteuer selbstverständlich Ausweichbewegungen ins Ausland geben. Entweder wandert der Aktienhandel ab, oder aber der Aktienhandelnde.

finom kostenloses all in one gesch?ftskontoAnzeige

Dass die neue Börsensteuer Kleinanleger abschreckt, glaubt Scholz nicht. „Die Steuer beträgt einmalig 0,2 Prozent – die Gebühren, die sie beim Aktienkauf an ihre Bank entrichten, sind viel höher. Ich bin sicher, dass die Steuer keinen negativen Einfluss auf die Aktienkultur in Deutschland haben wird.“ Wirklich ins Gewicht fallen werde die neue Steuer vor allem für sehr Reiche, die sehr viel Geld in Aktien investierten: „Und die können sich das leisten.“

Handelsblatt

Auch dies stimmt bei Lichte betrachtet eben nicht und belegt nur, dass Olaf Scholz geistig im Gestern und im Klassenkampf verhaftet ist. Gerade weil deutsche Broker immer noch 10, 20 und mehr Euro für Aktienorders nehmen, strömen die jüngeren Anleger zu den Neobrokern, bei denen Aktienorders zum Teil überhaupt gar nichts mehr kosten. 0,2 % Steuersatz sind folglich eben nicht viel niedriger als die Transaktionsgebühren, sondern mitunter unendlich viel höher.

Fakt ist natürlich auch, dass die gesetzliche Grundlage für eine Aktiensteuer nur der Fuß in der Tür ist. Die Büchse der Pandora wird damit geöffnet. Man muss sich nur die seit Jahrzehnten wegen nicht verfassungskonformer Vermögensbewertung ausgesetzte Vermögensteuer ansehen, deren Wiederbelebung regelmäßig zu den unauslöschlichen Begehrlichkeiten der politischen Linken zählt. Oder die Umsatzsteuer, die einmal mit 0,5 % Steuersatz eingeführt wurde (zum Vergleich Scholz im obigen Interview: „nur ganz wenige Cent bei einem Aktienkauf„) und die jetzt bei 19 % steht. Ist die gesetzliche Grundlage gelegt, ist die Erhöhung des Satzes – „aus Gründen sozialer Gerechtigkeit“ – nur eine Frage der Zeit. Umso wichtiger ist es, den Widerstand gegen populistische Steuergesetzgebung nicht aufzugeben. Scholz bezeichnet diesen Widerstand als „Lobbyisten-Argument“, welches Kleinanleger nach seiner Auslegung bereitwillig von Großanlegern übernommen haben, das sie jetzt benutzen und dadurch angeblich Großanleger vor Besteuerung verteidigen.

Auch dies ist natürlich populistischer Blödsinn, schafft man es doch im gesamten Steuerrecht, die Kleinen von den Großen sauber zu trennen. Beispielsweise begünstigt ja der Grundfreibetrag jemanden, der nur 9.000 Euro im Jahr verdient, wesentlich mehr, als jemanden, der 200.000 Euro im Jahr verdient. Der Sparerfreibetrag begünstigt diejenigen, die 801 Euro Kapitalerträge verdienen, aber weniger diejenigen, die 100.000 Euro im Jahr an Kapitalerträgen erwirtschaften. Warum es nun für Olaf Scholz nicht möglich sein soll, eine Regelung zu finden, um Kleinanleger und Altersvorsorgesparer komplett von der Steuer freizustellen, erschließt sich nicht.

Hinzu kommt natürlich, dass es eben nur vergleichsweise wenige „sehr kapitalkräftige, sehr reiche Leute“ gibt, wie Scholz sie bezeichnet. Wäre es anders, wäre ja die offizielle Statistik zur Vermögensverteilung eine andere. Und von den sehr reichen bekommt Scholz seinen Schnitt ja spätestens beim Verkauf, wenn auf den Gewinn mehr als ein Viertel Steuern abgehen. Die große Masse legt aber entweder aus historischen Gründen in (dann mutmaßlich aktiv verwalteten) Fonds an oder aufgrund der Vorzüge von ETF-Sparplänen in ebenjene. Folglich sind auch Fonds nicht primär Vehikel einiger „sehr kapitalkräftiger, sehr reicher Leute“ oder gar anonymer Selbstzweck eines verselbstständigten Kapitalismus, sondern Sammelbecken von Ersparnissen von vielen Millionen Mittelschichtlern. Folglich werden diese auch dann von der Aktiensteuer getroffen, falls sie – was nicht zu erwarten ist – bei privaten Direktanlagen von der Steuer ausgenommen würden. Hinzu kommt, dass Fonds aufgrund der permanenten Mittelzu- und -abflüsse viel mehr Transaktionen durchführen, um physisch am Index zu bleiben, nachdem die synthetische Index-Replikation aus irrationalen Gründen allseitig madig gemacht und in der Folge im Wesentlichen abgeschafft wurde.

Ich will nur sagen, da sind welche, wo ich gedacht habe: das habe ich doch eben bei der Lobby des Aktienverbandes gelesen und das ist jetzt in ein flauschiges Argument übersetzt worden. Also die meisten Aktien werden gekauft von großen Fonds. Und jetzt müssen immer Leute die vier Aktien besitzen und sich noch eine fünfte kaufen wollen herhalten, um eine Besteuerung dieser großen Aktienkäufer, die Milliarden jedes Jahr investieren zu verhindern.

Olaf Scholz bei Marvin Neumann

Relativierung par excellence. Zum Stichwort Vermögensverteilung ist natürlich noch hinzuzufügen, dass die „sehr kapitalkräftigen, sehr reichen Leute“ gerade nicht vorrangig in Aktien anlegen. Das ist zwar eine nette Erzählung, die die SPD als tendenziell nichtintellektuelle Partei ihrer Wählerschaft verkauft, aber deshalb nicht wahrer. Denn in der Vermögensverteilung Wohlhabender spielen Aktien regelmäßig nur eine sehr untergeordnete Rolle. Das Gros entfällt bei sehr wohlhabenden Personen nämlich oft hauptsächlich auf Betriebsvermögen. Folglich trifft man auch mit der Aktiensteuer nicht den dickbäuchigen Monopolymann mit der Zigarre und Zylinder, der von früh bis spät seine Dividenden zählt, wie es die SPD gerne erzählt (siehe nachfolgendes Parteireklamebild), sondern gerade aufstrebende Vermögensbildende.

Quelle: handelsblatt.de

Dass gerade Wohlhabende viel eher Betriebsvermögen als Aktien haben und diese praktisch noch weniger getroffen werden, eignet sich aber dennoch ebenfalls nicht als Grund für die Einführung der Steuer. Denn erneut bleibt es dabei, dass bei der Aktiensteuer alles willkürlich ist: der Steuergegenstand, der Steuerzahler, der Steuersatz, die Steuerausnahmen, der Steuerzweck (wohlwissend, dass Steuern nicht zweckgebunden erhoben werden).

„Das wäre eine politische Dummheit – und dazu neige ich nicht.“ – Olaf Scholz
Handelsblatt

Wenn aber alles willkürlich ist, müssen wir zum Ergebnis kommen, dass das derzeitig dominierende System der Besteuerung nach der am jährlich erzielten verkonsumierbaren Einkommen gemessenen Leistungsfähigkeit am besten und am begründetsten für eine sinnvolle Steuererhebung geeignet ist. Und die SPD-Rhetorik zur Finanztransaktionsteuer nur Gebrabbel aus der ideologischen Zwangsjacke.

Dabei gäbe es durchaus interessante politische Gestaltungsfelder. Nach den Worten Paul Kirchhofs beraubt beispielsweise das derzeitige Steuerrecht den Bürger seiner Handlungsfähigkeit und dadurch seiner Freiheit, weil nicht mehr planbar ist, was der Staat im Nachgang an Steuern von ihm erwartet. Und nicht mehr der Steuersatz, also das tarifäre Hemmnis, spielt hierzulande die entscheidende Rolle, sondern die nichttarifären Hemmnisse, der Wust an Bürokratie, die überbordenden Compliance-Pflichten bilden den Hemmschuh, der die Rechtsbefolgung in Deutschland immer teurer und aufwändiger macht. Das anzuwendende Recht ist zu komplex, selbst für Fachleute. Ebenfalls von Paul Kirchhof stammt die Andeutung, dass wenn der Steuerzahler das Steuerrecht nicht mehr versteht, Zweifel an der Verfassungskonformität ihre Berechtigung haben.

Ein weiterer finanzpolitischer Skandal ist die fortwährende Einschränkung handelbarer Wertpapiere für deutsche Anleger. Mag das beim ein oder anderen Graumarktprodukt noch angehen, wird es schon unverständlich, wenn Clearstream den Handel von amerikanischen börsengehandelten US-Kommanditgesellschaften einstellt oder man in der ganzen EU wegen MiFID2 keine fondsähnlichen Produkte (bspw. amerikanische closed-end-funds) mehr kaufen kann, wie wir kürzlich bei mehrere europäischen Brokern festgestellt haben. Anstatt den Handeln unter Aufsicht in der EU zuzulassen, werden Anleger nun gezwungen, die EU zu verlassen. So sieht keine gelungene Standortpolitik aus.

Kommen wir aber nochmal zurück zum Scholz-Interview:

In Frankreich wird die Steuer erhoben, in Großbritannien wird die Steuer erhoben, in Italien wird die Steuer erhoben, in Spanien wird die Steuer erhoben, bei uns nicht und die Frage ist: warum machen wir das nicht? Ich sage, weil da mächtige reiche Lobbyisten hinter stecken, die das verhindern und die die Macht hatten, immer wieder auf andere zu drücken, dass das verhindert wird.

Und wenn alle von der Brücke springen, springen wir hinterher. Und wer sollen diese „mächtigen, reichen Lobbyisten“ nun konkret sein? Und warum sollte das überhaupt eine Rolle für Scholz‘ Politik spielen? Er ist schließlich Finanzminister? Außerdem unterschlägt Scholz, dass es den genannten Ländern offenbar zum Teil gelungen ist, auch Derivate mit einzubeziehen, was Scholz bis heute nicht gelingen will. Wo bleibt sein Verweis darauf? Es verbleibt eine weitere Beschädigung des Kapitalmarktstandorts Deutschland und eine weitere Bestätigung für die Ansicht, dass man sein Glück besser woanders sucht, wenn man nach persönlichem Wohlstand strebt, der einem nicht permanent geneidet wird.

Scholz spricht letztlich damit offen aus, dass es unter ihm niemals eine wie auch immer geartete steuerliche Begünstigung für Kapitalanleger geben wird und im Gegenteil seine Politik immer danach streben würde, jegliche günstigere Besteuerung von Kapital im Vergleich zu Arbeit zu unterbinden. Deshalb geht er auf das Argument, dass man Kleinanleger doch ausnehmen könnte, auch nicht weiter ein, sondern entgegnet, dass diese Argumentation benutzt würde, um Großanleger steuerfrei zu stellen. Das eine schließt natürlich das andere in der Realität in keiner Weise aus. Aber das Interview ist aufgrund seiner Offenheit und offenbaren Ehrlichkeit für den politischen Rezipienten, also den Wähler und den Staatsbürger, extrem wertvoll. Denn es ist einer der seltenen Momente, in denen man von Politikern das transportiert bekommt, was sie wirklich denken.

Wie erläutert: Scholz will – aus tradierten Gründen seiner jugendlichen politischen Sozialisierung, aber dazu kommen wir später noch – jegliche Bevorzugung von Kapitaleinkünften konsequent unterbinden. Er sieht auch schlicht keine Rechtfertigung dafür, dass Aktiengewinne zum Beispiel nach einigen Jahren Haltedauer steuerfrei sein sollte: das sei das „Argument sehr reicher Leute“ und „eines der größten Steuerschlupflöcher, die es in Deutschland viele Jahre gegeben hat“. Auch hier: für sehr reiche könnte man ja zielgenaue Regelungen treffen, z.B. durch Freibeträge. Im Übrigen, d.h. für die breite Masse der Nicht-sehr-reichen, wäre ein steuerfreier Aktiengewinn aber ein Gewinn für die ganze Gesellschaft, durch Vermögensbildung und Armutsverhinderung in der Breite; durch eine Entlastung der Renten- und Sozialkassen; durch eine Kultur der eigenen Vermögensverantwortung statt einer Mentalität der Anspruchshaltung gegen den Staat.

Die Spekulationsfrist wurde mit dem Einkommensteuergesetz 1925 eingeführt und betrug damals drei Monate. 84 Jahre lang galt also nicht nur eine Befreiung für Aktiengewinne (außer kurzfristige Spekulationsgewinne), sondern eine allgemeine Steuerfreiheit für Anlagegüter im privaten Bereich. Einen Frontalangriff auf dieses System hat die SPD mit der Einführung der Abgeltungsteuer durchgeführt. Nun mag durchaus zuzugestehen sein, dass (realisierte) Wertsteigerungen des privaten Aktienvermögens zu einem wirtschaftlichen Leistungsfähigkeitszuwachs führen und deren Besteuerung sowohl verfassungskonform als auch systemgerecht wäre.

Dem ist aber entgegenzuhalten, dass die staatliche Einnahmenerzielung nicht alleiniges Ziel sein kann, wenn gleichzeitig durch Aktien bedeutende gesellschaftliche Vorteile erreicht werden können, wenn man eine Besteuerung sozial erwünschter langfristiger Vermögensbildung gerade nicht besteuern würde. Diesen Zielkonflikt löst die SPD generell dogmatisch-ideologisch zulasten der Kapitalbildung auf, da das politische Programm der SPD weiterhin eine „Verwirklichung“ des sog. „demokratischen Sozialismus“ verfolgt. Nun widerlegt die Realität diese Formulierung, weil es auf der ganzen Welt keinen Sozialismus gab oder gibt, der demokratisch ist. Oder auch nur sozial. Von Fakten lässt man sich aber nicht vom Weg ins „Reich der Freiheit“ abbringen. Scholz zugute zu halten ist, dass er die Formulierung vom demokratischen Sozialismus im Jahr 2003 als Generalsekretär der Partei streichen wollte. Hintergrund war, dass er sich daran störte, dass das nach Gegenkonzept zum Kapitalismus klingt. Was sich, nachdem sich die Marktwirtschaft für viele als recht wohlstandsstiftend erwies, nun mal schlecht beim Wähler verkaufen lässt. Scholz: „Ich glaube, dass der Begriff für die Zukunft nur eine geringe Aussagequalität hat.

Was Scholz nicht sagt: unternehmerisches Kapital ist bereits die am höchsten besteuerte Einkunftsart in Deutschland. Denn wenn innerhalb einer Kapitalgesellschaft in Deutschland bereits 30 % durchschnittliche Unternehmenssteuern (BMF, S. 16) abgehen und noch einmal 26,375 % vom verbleibenden und dann ausgeschütteten Betrag, dann landet man bei einer Besteuerung auf Unternehmensgewinne von 48,5 %. Und das trifft schon den ganz normalen Anleger mit durchschnittlichen Gesamteinkünften. Anders der reine Arbeitnehmer: verdient der Null, bezahlt er auch Null Steuern und selbst wenn nicht, wäre bei 42 % plus Soli regelmäßig Schluss.

Bekommt aber der Aktionär keine Ausschüttung – hat also ebenfalls Null zum Konsumieren – bezahlt er trotzdem 30 % Steuern, nur eben mittelbar über seine Aktiengesellschaft. Weitere 25 % Steuern laufen parallel bis zum Verkauf latent auf, weil sein Anteil aufgrund Nichtausschüttung mehr wert wird. In Summe sind das fast 50 % Steuern. Bekommt er demgegenüber die Ausschüttung, zahlt er ebenfalls durchgerechnet die genannten knapp 50 %. Aktionäre zahlen also in jedem Fall fast 50 % Steuern. Steuergerechtigkeit ist das objektiv nicht.

Wir werden der Steuergerechtigkeit Geltung verschaffen.
Zukunftsprogramm der SPD, S. 22

Scholz wird sich daran jedoch nicht reiben, denn die Benachteiligung von Kapital gegenüber Arbeit gehört ideologiebedingt zu seinem politischen Konzept. Und im Übrigen wollte Scholz auch vier Jahre lange die Abgeltungsteuer abschaffen – dies ist ihm aus den vorgenannten Gründen der bereits erfolgenden hälftigen effektiven Besteuerung von Aktionären nicht gelungen. Interessant ist, dass die SPD die Abgeltungsteuer im aktuellen Wahlprogramm 2021 gar nicht mehr erwähnt. Erkenntnisgewinn? Grüne und Linke als notorisch nicht in politischer Verantwortung befindliche Parteien sehen dagegen weiter ideologisch getriebenen Handlungsbedarf.

Was das Interview insgesamt belegt: Scholz ist durch und durch Überzeugungstäter. Wertpapiere sollen konsequent besteuert werden, wie alles andere auch. Anmerkung: ohne Verluste voll zur Verrechnung zuzulassen. Was sich mittlerweile dann eben das Bundesverfassungsgericht ansieht, der Reparaturbetrieb der Republik. Die Überzeugungstäterschaft begann bereits in seiner Jugend, als er glühender Marxist wurde. Von Scholz selbst stammen die Forderungen nach einer Überwindung des Kapitalismus nicht nur als Jugendsünde, sondern noch als Dreißigjähriger -, die Diagnose einer „aggressiv-imperialistische[n] Nato“, einer Bundesrepublik als „europäische Hochburg des Großkapitals“. Zwar ist es aller Ehren wert, dass er das aus heutiger Sicht als  „fachlichen und sachlichen Schwachsinn“ bezeichnet, was es freilich auch ist.

Den damaligen Juso-Bundesvorsitzenden Willi Piecyk, ein nicht-marxistischer Reformer, soll Scholz auf dessen Frage, warum es zwischen ihnen beiden denn ständig Konflikte gebe, angebrüllt haben: „Weil du den Kapitalismus nicht so sehr hasst wie ich!“
seemoz.de

Aber die Frage stellt sich doch schon, wie jemand von einem radikalen Extrem zum vorgeblich ultrapragmatischen Parteikonservativen wurde. Wir nehmen Scholz durchaus ab, dass er heute kein reiner Marxist mehr ist. Allerdings dürften gewisse grundlegende Prägungen und Denkmuster durchaus erhalten geblieben sein, insbesondere zum Verhältnis von Arbeit und Kapital. Die Frage ist also, was hat Scholz zu seiner Metamorphose bewegt? Und aus unserer Sicht scheint die Antwort glasklar zu sein. Im Jahr 1990 gründete er im Alter von 32 Jahren die Hamburger Kanzlei Zimmermann, Scholz und Partner mit. Die Erzählung, Olaf Scholz würde allein aufs Girokonto setzen, stimmt also nicht. 

Denn zwar kauft Scholz keine börsennotierten Unternehmensanteile. Er verfügt aber fraglos über einen sicher nicht gänzlich wertlosen Partnerschaftsanteil (sicherlich in Mitgründerhöhe!) an einer gut laufenden Arbeitsrechtskanzlei. Zwar ist über Google nichts von einer laufenden Gewinnbeteiligung (also Nebeneinkünften) zu finden, weshalb mindestens von einer Suspendierung der Gewinnbeteiligung auszugehen sein sollte. Allerdings ist das ja nun der älteste Trick der Welt, Erträge nicht auszahlen zu lassen, sondern dann eben über die nichtrealisierte Wertsteigerung des Anteils zu partizieren. Leider gibt es dazu nichts Konkreteres im Internet. Wie genau es Scholz mit seinen Angaben zu Beteiligungen nimmt, lässt sich möglicherweise an folgendem Beispiel ablesen:

Sind Sie taz-Geno-Mitglied?

Nein, nicht mehr. Meine Regel lautet: Ich bin, außer als – nicht aktiver – Anwalt in meiner Kanzlei – nirgendwo mehr an Unternehmen beteiligt. Das verhindert Interessenkollisionen.

taz.de, 2012

Gegenüber:

Ich selbst bin überzeugtes Genossenschafts­mitglied bei einer in Berlin erscheinenden Tageszeitung.
Rede von Olaf Scholz beim Jahresempfang der Deutschen Genossenschaften, März 2020

Was stimmt nun? Zwar offensichtlich eine Lappalie, aber wie kann man sich denn bei einem solchen Thema vertun? Er wird wohl kaum seinen taz-Anteil aus Unabhängigkeitsgründen zurückgegeben haben, um ihn dann Jahre später wieder zu erwerben. Obligatorische Wahlkampf-Folgefrage: was stimmt dann noch vom Rest?

Im Lichte dessen ist es aber rückblickend auch leicht nachzuvollziehen, wie man also vom Marxisten zum Marktwirtschaftsfreund wird. Immer dann nämlich, wenn die eigene Kasse klingelt. Wenn die Made am Speck nascht, wandeln sich die Ansichten wie von Zauberhand. „Ich gehe nicht selbst tanken“ sagt Scholz jetzt im Wahlkampf, und landet damit einen kleinen Skandal in guter Nachfolge von Peer Steinbrück mit #eierlikörgate und dessen Aussage, er würde einen Pinot Grigio für lediglich fünf Euro definitiv nicht kaufen.

Werfen wir abschließend noch einen Blick auf die restliche politische Leistung von Olaf Scholz. Ihm gemäß zahlen nach der Soli-Mogelpackung seiner nur teilweisen Abschaffung nur noch Menschen mit „sehr hohen Einkommen“ Soli. Diese „sehr hohen“ Einkommen gehen für den Finanzminister offenbar bei 73.000 Euro los. Wenn das bereits „sehr“ hoch ist, dann muss sich der Finanzminister natürlich die Frage gefallen lassen, warum mit Markus Lanz formuliert, die Reichen eher immer ärmer gemacht werden müssen, anstatt die Armen vorrangig einfach reicher zu machen. Neben den 73.000-Euro-Spitzenverdienern zahlen natürlich auch die meisten Sparer und Kleinanleger den Soli weiter, denn für Kapitalerträge wurde der Soli nicht abgeschafft. Ebenso wenig für juristische Personen, selbst Kleinstkapitalgesellschaften. Für derlei Ungleichbehandlungen hat Olaf Scholz wohl nur ein schlumpfiges Grinsen übrig.

Als Kanzlerkandidat wird er Vertreter der SPD, einer Partei, die regelmäßig Politik macht, die sie Jahre später selbst als unsozial wieder rückgängig machen möchte. So war das etwa mit der Deregulierung von Hedgefonds (obwohl diese in Deutschland keine Rolle spielen), mit den in der Finanzkrise berühmt gewordenden True-Sale-Verbriefungen, mit der Agenda 2010, die nach Wunsch vieler Mitglieder rückabgewickelt werden soll, mit der Abgeltungsteuer, die die SPD wieder abschaffen möchte, genau wie die Riester-Rente. Man muss also zuspitzen: wenn schlechte Politik gemacht wird, dann anscheinend von der SPD, jedenfalls nach Ansicht der SPD.

Unter Olaf Scholz als Hamburger Bürgermeister war der Hamburger G20-Gipfel zu verantworten, der als Hafengeburtstag mit garantierter Sicherheit angekündigt wurde und zu dem Hamburg in Schutt und Asche gelegt wurde. Unter Bürgermeister Scholz war der Cum-/Ex-Skandal der Hamburger Warburg-Bank zu verantworten, der die Staatskasse beinahe 90 Millionen Euro gekostet hätte, wenn das Bundesfinanzministerium nicht interveniert hätte. Einen Bürgermeister, den das nicht juckt, möchte man am liebsten nicht zum Finanzminister und noch weniger zum Bundeskanzler.

Man sorgte sich bei Warburg um die Existenz der Bank, falls der Staat seine Steuerforderung geltend gemacht hätte – goldig.

In seiner Befragung durch den Hamburger Untersuchungsausschuss Ende April erklärte Scholz knapp 40-mal, dass er sich nicht erinnern könne: nicht an die Gespräche, nicht an ein späteres Telefonat, nicht, ob es Vorbereitungen gegeben habe, nicht, was mit den Papieren geschah, die er entgegennahm.
Manager Magazin

Dann kann es ja wohl gar keine Gespräche gegeben haben. Oder?

Rückblick in den November 2019: Damals fragt die Fraktion Die Linke in der Hamburgischen Bürgerschaft den Senat, ob es im Rahmen des Steuerverfahrens Treffen zwischen Warburg-Verantwortlichen und Olaf Scholz gegeben hat. Der Senat antwortet denkbar knapp: Nein.
Wenig später, im Februar 2020, berichten die Wochenzeitung „Die Zeit“ und das ARD-Magazin „Panorama“, dass sich Olaf Scholz im November 2017 mit Olearius getroffen hat. So hatte es Olearius in seinem Tagebuch festgehalten. Zunächst äußert sich Scholz auf Anfrage der beteiligten Medien nicht, nach der Veröffentlichung räumt er das Treffen ein […] Anfang September 2020 berichten dann „Die Zeit“, „Panorama“ und die „Süddeutsche Zeitung“ über zwei weitere Treffen von Scholz mit den Bankern. […] Während Scholz konkrete Fragen bis dahin mit Verweis auf das Steuergeheimnis nicht beantwortete, ist nach dem Bekanntwerden weiterer Treffen eine Art Strategiewechsel zu beobachten: Scholz beruft sich nun auf Erinnerungslücken.
Manager Magazin

Cum-/Ex wäre eine „Riesen-Schweinerei„, meint der Finanzminister heute. Ob Scholz das auch dem Warburg-Chef so gesagt hatte, als sie unter vier Augen parlierten, statt nur medienwirksam in der Retrospektive? Dazu könne er nichts sagen. Legal, illegal, scheißegal? Und das als Jurist.

Aber dabei blieb es nicht, denn auch ein zweiter Untersuchungsausschuss blieb Scholz nicht erspart, nämlich der zu Wirecard und im Wesentlichen zur Frage, ob Scholz die Behörden in seinem Zuständigkeitsbereich so organisiert hat, das unerwünschtes bzw. illegales Verhalten auch aufgedeckt wird. Auch hier ergaben sich „nicht nachvollziehbare Erinnerungslücken„.

Zu hoffen bleibt aus Aktionärssicht, dass Scholz im Herbst abgewählt wird. Falls nicht, bleibt nur die vage Hoffnung auf den nachfolgend zitierten Olaf Scholz:

Gerecht ist, was Menschen in die Lage versetzt, ihr Leben so zu gestalten und zu organisieren, wie sie es selbst gerne gestalten und organisieren möchten; gerecht ist, was die Menschen stärkt. Deshalb bedingen sich Gerechtigkeit und Freiheit wechselseitig: Eine Politik, die Menschen dauerhaft in Abhängigkeit bringt, sie entmündigt oder ihnen Selbstrespekt und Selbstachtung nimmt, kann weder gerecht noch freiheitlich sein. Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft

Teile diesen Artikel, wenn er Dir gefallen hat oder er auch für andere hilfreich sein könnte! Wir freuen uns auch über jeden Gefällt-Mir-Daumen oder abonniere einfach unsere Facebook-Seite.

Eine 95%ige Steuerbefreiung für Aktiengewinne und eine Steuersatzsenkung auf 15 % für Dividenden klingen wie Musik in Deinen Ohren? Wenn Du Dich für das Thema Aktienanlage in Kapitalgesellschaften interessierst und mehr darüber erfahren möchtest, ist unser Buch Die Sparschwein-UG oder die Sparschwein-UG Betriebsbesichtigung vielleicht das Richtige für Dich! Tritt auch gerne unserer Facebook-Gruppe bei und tausche Dich mit Gleichgesinnten aus!

12 Gedanken zu „„Weil Du den Kapitalismus nicht so sehr hasst wie ich!““

  1. Dass die euch hier lesende Klientel nicht zum Scholz-Fanclub gehören dürfte, ist wohl klar. Ach, wie schön wäre es, wenn dies doch auch von Leuten wie meiner Schwiegermutter gelesen würde, die ihre Wahlentscheidung von der Sympathie der Kanzlerkandidaten abhängig macht. Und da ist Scholz für sie noch das kleinste Übel. Da hilft nur Aufklären, Aufklären, Aufklären. Herzlichen Dank für euren Beitrag dazu und die – wie von euch gewohnt – umfassende Darstellung.

  2. Hallo,
    die Teile des Artikels zu Olaf Scholz finde ich gut recherchiert, mit Zitaten belegt und mit der passenden Menge Ironie geschrieben. Gut zu lesen!
    Zu den Teilen über die Grünen kann ich nicht das selbe sagen. Gut, kann daran liegen, dass ich Grünen-Wählerin bin. Aber wenn man sich auf die Fakten konzentriert und nicht auf die, zugegebenermaßen sehr zur Verballhornung geeigneten, philosophischen Verschwurbelungen von Habeck, dann kann man in Bezug auf das Thema „Aktienkultur Deutschland“ doch im Großen und Ganzen sagen „da würde sich unter den Grünen nicht so viel ändern“ – also weiter zum nächsten Thema?!
    Denn da gibt es aus meiner Sicht ganz andere Baustellen, die wir als Land derzeit angehen müssen. Klar, als Finanzblogger ist einem Finanzpolitik sehr nah, so wie Lehrern eben Bildungspolitik bei der Wahlentscheidung sehr wichtig ist. Aber ich plädiere dafür, auch über alle anderen Themen nachzudenken und darauf seine Wahlentscheidung zu treffen – nicht nur auf seinem einen „Lieblingsthema“. Am Ende findet man ja nie eine Partei, bei der man jede Forderung und jeden Programmpunkt im Wahlprogramm gut findet. Das wäre auch illusorisch. Dann kommen dazu noch die Koalitionsverhandlungen und der ganz normale politische Alltag. Am Ende ist das dann doch meist eine „Regression to the Mean“.

    Viele Grüße
    Jenni

    1. Hi Jenni,
      völlig d’accord! Allerdings können wir tatsächlich auf einem auf Finanzen fokussierten Blog nicht auch noch komplett das Thema Klimawandel ausrollen. Wir hatten im Artikel auch in verschiedener Form angemerkt, dass er „aus Aktionärsperspektive“ zu sehen ist.
      Zuzugeben ist, dass es wünschenswert wäre, übergreifend schreibende Autoren zu sehen, die bspw. klimapolitische und soziale Notwendigkeiten und Geldanlage verbinden. Fraglich ist aber, wie viele Leser man dauerhaft erreicht, wenn man zu viel abseits der Finanzen schreibt, der Leser aber einen Finanzblog besucht.
      Beste Grüße vom Atypisch Still Blog

  3. Tja, leider schreibt irgendwie niemand (auch nicht die großen Zeitungen/Journalisten) wirklich übergreifend. Es geht immer „nur“ um Ausschnitte, und das finde ich schade. Bei einem Finanzblog aber natürlich sinnvoll, sich auf die Finanzaspekte zu konzentrieren.

  4. Vielen Dank für diesen sehr ausführlichen und gut recherchierten Artikel, den ich in dieser Form und mit dem nötigen kritischen Biss in großen Publikationen vermisse. Irgendwie könnte man den Eindruck bekommen, bei Themen wie Aktionärskultur und Belangen von Anlegern würden die Samthandschuhe gegenüber linken Parteien ausgepackt.

    Es liegt natürlich in der Natur des Sujets, dass ihr zu den GRÜNEN nicht mehr schreiben konntet, als die für die Finanzcommunitiy wichtige Frage nach der Besteuerung von Kapitalerträgen zu prüfen. Würde man das ganze Feld hinsichtlich der gesamtwirtschaftlichen Konsequenzen einer GRÜNEN Regentschaft aufrollen, ergäbe sich aus meiner Sicht eine weniger glimpfliche Einschätzung: Die GRÜNEN sind m.E. heute nicht mehr die Stillhalter in wirtschaftlichen Belangen, wie sie es unter Joschka dem Herrlichen und Prächtigen bei ihrer ersten Regierungsbeteiligung auf Bundesebene (1998-2005) noch waren. Frei nach dem Motto: Hauptsache mitmischen; wir reden nur beim Gedöns mit. Heute vertreten sie eine Agenda, die sich durchaus auf die deutsche Old Economy (Produktion in energieintensiven Betrieben) auswirken würde. Bedeutender noch erscheint mir aber der sehr ausgeprägte Hang bei vielen Anhängern der GRÜNEN, ihre Zielvorstellungen mittels hässlicher und lähmender Gängelei und Vorschriftenerlasssucht umzusetzen. Diese neue Lust am Bevormunden, Verbieten und Belehren vor allem kleiner und mittelständischer Betriebe (als hätten diese nicht schon genug obrigkeitsstaatlicher Aufmerksamkeit zu bewältigen) würde die eigentliche Mitgift der Ökologisten sein. Aber wie gesagt, solcherlei politische Hypotheken wären eher Gegenstand einer wirtschaftspolitischen Betrachtung, an der es derzeit geringes Interesse bei den großen Medien zu geben scheint.
    Es grüßt
    Mirko

  5. Sorry aber dass sich unter den Grünen nicht viel ändern würde ist doch einfach mal komplett falsch recherchiert. Ihr gebt es oben selbst wieder. Aktienverkäufe würden damit wieder mit dem persönlichen Steuersatz und damit in vielen Fällen mit einem Steuersatz von 42% versteuert werden anstatt aktuell etwas über 25%.

    42% vs. 25%!!!!

    Wieviel Sand in den Augen muss man haben, um dabei davon zu reden es würde sich nicht viel ändern. Sorry, setzen 6.

    1. Nichts ist in einer Koalitionsregierung weniger wert als das Parteiprogramm von gestern. Erstmal durchatmen und wieder beruhigen, Marcus.

    2. Steht doch im Artikel: „Aktionäre sollten nichts zu befürchten haben. […] Für Zinsempfänger gilt dies freilich nicht.“ Wer lesen kann, ist klar im Vorteil. Und bitte nicht in dieser Weise rumpöbeln, das ist nicht der Stil dieses Blogs.

      1. Seit wann ist ein Aktienverkäufer ein Zinsempfänger? Aktienverkäufe würden nach den Plänen von Grünen und SPD mit dem privaten Steuersatz versteuert werden. Und damit eben in den meisten Fällen mit 42%.

        Soviel zum Thema wer lesen kann ist klar im Vorteil. Nur beim Verstehen hapert es scheinbar bei euch 😉

        Im übrigen war mein Beitrag kein Rumgepöbel sondern ein, wenn auch direkter, Hinweis auf eine fehlerhafte Darstellung in eurem Artikel. Gerade als Investor sollte man kritikfähig sein um erfolgreich zu sein.

        1. Im Text steht nicht, dass ein Aktienverkäufer ein Zinsempfänger ist. Wir nehmen auf das vorangegangene Zitat Bezug, wonach die Wiedereinführung des Teileinkünfteverfahrens für Aktienerträge gelten soll. Das bedeutet zwar eine Versteuerung mit 42%, aber eben nur auf einen steuerpflichtigen Anteil von 60%. Macht in Summe etwa 25% – genau wie der Status quo. Auf diese Augenwischerei der „Abschaffung der Abgeltungsteuer“ machen wir hier seit Jahren aufmerksam.
          Vielleicht haben wir das im Text nicht klar genug formuliert 😉

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Atypisch Still