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Die Zerstörung der Vermögensbildung. Eine Abrechnung. (Teil II)

Im ersten Teil unserer zweiteiligen Serie zur politisch mitverursachten Zerstörung der Vermögensbildung haben wir gezeigt, wie regierende Politiker durch schlechte Gesetzgebung die Finanzkrise schon im Vorhinein verschärft haben, wie schlechte Politik eine exorbitant teure Bankenrettung zu verantworten hat und wie das Finanzministerium beim größten Steuerraub aller Zeiten tatenlos zugesehen hat und Steuerrückforderungen voraussichtlich in substantiellem Ausmaß juristisch unaufgearbeitet verjähren. Um in der Folge sogar noch neue Steuern für Aktienanleger einzuführen. Die hohen Steuern von heute sind das geldgewordene Versagen von gestern. Im zweiten Teil der Serie geht es nun eher um die Gegenwart.

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Und brandaktuell und heißdiskutiert ist der zirkulierte Entwurf des Jahressteuergesetzes 2019. Dieser hält, wie sollte es anders sein, gerade für Anleger nichts Positives bereit.

Entwurf des Jahressteuergesetzes 2019

Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte in seinen Urteilen vom 12. Januar 2016 – IX R 48/14, IX R 49/14, IX R 50/14 – entschieden, dass die Anschaffungskosten für Optionen steuerlich auch dann zu berücksichtigen sind, wenn die Option innerhalb der Optionsfrist nicht ausgeübt wurde und wertlos verfallen ist. Denn laut BFH sollte mit der Entscheidung zur Einführung der Abgeltungsteuer im Unternehmensteuerreformgesetz 2008 eine vollständige steuerrechtliche Erfassung aller Wertveränderungen im Zusammenhang mit Kapitalanlagen erreicht werden. Das kann laut BFH z.B. der Gesetzesbegründung auf S. 56 entnommen werden.

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Dies sieht Olaf Scholz und sein Ministerium nun nach zehn Jahren jedoch anders: die Auffassung des BFH entspräche nicht dem Willen des Gesetzgebers, im Rahmen der Unternehmensteuerreform 2008 den geltenden Status Quo – mit Ausnahme des Wegfalls der Spekulationsfrist – fortzusetzen. Nachfolgend ist die derzeitige Fassung des § 20 EStG dargestellt, der den Katalog der steuerpflichtigen Kapitalerträge enthält.

(2) Zu den Einkünften aus Kapitalvermögen gehören auch […]
3. der Gewinn […]
a) bei Termingeschäften, durch die der Steuerpflichtige einen Differenzausgleich oder einen durch den Wert einer veränderlichen Bezugsgröße bestimmten Geldbetrag oder Vorteil erlangt;
 

Der Buchstabe a) soll nun wie folgt geändert werden:

„a) bei Termingeschäften, durch die der Steuerpflichtige durch Beendigung des Rechts einen Differenzausgleich oder einen durch den Wert einer veränderlichen Bezugsgröße bestimmten Geldbetrag oder Vorteil erlangt. Der Verfall einer Option gilt nicht als Beendigung des Rechts;
§ 20 Abs. 2 EStG-E

Im Ergebnis wird hierdurch gesetzlich fingiert („gilt nicht“), dass durch einen Optionsverfall, durch den diese Optionsserie endabgerechnet wird und nie wieder jemals an irgendeiner Terminbörse auf diesem Planeten gehandelt wird, keine Beendigung der Option eintreten soll. Ein offensichtlicher, himmelschreiender Blödsinn, der genauso offensichtlich rein fiskalisch motiviert ist. Gewinn werden ganz selbstverständlich besteuert, Verluste sollen auf künstlichste Art und Weise nicht anerkannt werden. Der Wortlaut der Regelung lässt somit – aber glücklicherweise immerhin – nur noch zwei Alternativen zu: die Ausübung am Ende der Laufzeit und das rechtzeitige Glattstellen vor Ende der Laufzeit.

Dankenswerterweise leben wir aber in einem Rechtsstaat und Olaf Scholz kann zwar zunächst seine in Interviews bereits demonstrierte extreme Finanzkompetenz in Gesetzesform gießen, ob das aber spätestens vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hat, bleibt noch abzuwarten. Nachfolgender Auszug aus einem aktuelleren Urteil lässt begründet hoffen:

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Unter dem Gebot möglichst gleichmäßiger Belastung der betroffenen Steuerpflichtigen muss die Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestandes folgerichtig im Sinne von belastungsgleich erfolgen. Die Bemessungsgrundlage muss – in Einnahmen und Aufwand – den wirtschaftlichen Vorgang sachgerecht aufnehmen und realitätsgerecht abbilden. Ausnahmen von einer belastungsgleichen Ausgestaltung der mit der Wahl des Steuergegenstandes getroffenen gesetzgeberischen Entscheidung (folgerichtigen Umsetzung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestandes) bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes, der die Ungleichbehandlung nach Art und Ausmaß zu rechtfertigen vermag. Der rein fiskalische Zweck staatlicher Einnahmenerhöhung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht als besonderer sachlicher Grund in diesem Sinne anzuerkennen.
BVerfG  v.  – 2 BvL 6/11, Tz. 104

Nun hat Olaf Scholz in die Gesetzesbegründung Folgendes hineinschreiben lassen:

Dies ist auch gerechtfertigt. Denn angesichts der Erfahrungen aus der Finanzkrise 2008/2009 sollten jedwede Art von Belastungen für den Fiskus vermieden werden, die dadurch entstehen, dass die hochspekulativen Elemente, die ein Optionsnehmer bewusst auf sich nimmt, eintreten. Unabhängig davon werden darüber hinaus Steuerausfälle in nicht bezifferbarer Höhe vermieden.
Entwurf eines Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften

Wir kennen ja alle die Riesenverluste, die 2008/2009 in erster Linie durch Optionen entstanden sind. Die Zeitungen waren ja voll davon. Nicht etwa amerikanische Hypotheken und darauf aufbauende Wertpapiere, ABS, CDO, CLO und CDS, nein, Optionen waren die großen Verlustbringer. Was genau nun überhaupt ein „Optionsnehmer“ sein soll, bleibt dem Leser ebenfalls verschlossen. Unverständliche Gesetze beginnen damit, dass die geläufige Finanzsprache, bspw. also Optionskäufer und Stillhalter o.Ä., nicht benutzt wird. Stattdessen wird schon im Gesetzgebungsverfahren darauf geachtet, die Sache möglichst uneindeutig zu machen. Wie damals 2008 beim schon erwähnten Unternehmensteuerreformgesetz, mit dem nach heutiger SPD-Ansicht angeblich bis auf den Wegfall der Spekulationsfrist gar nichts geändert werden sollte. Der Bundesfinanzhof kam zu einer ganz anderen Wertung der damaligen Gesetzgebungsmaterialien und laut diesem auch die herrschende Meinung in Fachkreisen.

Bei einem eingetretenen Verlust, der unbestreitbar die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit dadurch mindert, dass das eingesetzte Geld am Ende weg ist, muss eine an dem grundgesetzlich vorgegebenen Leistungsfähigkeitsprinzip orientierte Besteuerung einen solchen Verlust vernünftigerweise anerkennen und berücksichtigen. Olaf Scholz führt dagegen im Bereich der Geldanlage ein, dass bestimmte Finanzanlagen durch die Hintertür des Steuerrechts als „unfein“ und „unerwünscht“ deklariert werden. Man sollte so ein Finanzprodukt nicht kaufen, denn die Gefahr könnte ja bestehen, dass der Staat dadurch weniger Steuern einnimmt. Dass Gewinne – egal, welcher Herkunft – immer absolut selbstverständlich besteuert werden, obwohl sich der Staat hierbei (um in der Politikersprache zu bleiben) gegebenenfalls zum mittelbaren Profiteur der von rücksichtslosen Finanzjongleuren durchgeführten (und im Regelfall auch wahlweise neoliberalen, entfesselten und turbokapitalistischen) Finanzspekulation im bösen Derivatemarkt macht, sollte das Wasser gerade bei einem SPD-Finanzminister eigentlich sichtbar trüben.

Das Risiko ist bei einer gekauften Option in jedem Fall auf das eingesetzte Kapital (die Optionsprämie) beschränkt. Folglich werden also insoweit keine Risiken für irgendeinen Außenstehenden induziert. Das Risikoprofil dieses „hochspekulativen“ Instruments steht also dem Grunde nach dem einer Aktie, eines Fonds und auch eines Riester-Renten-Sparplans gleich, bei dem man ebenfalls 100 % des eingesetzte Kapitals verlieren kann, aber eben auch nicht mehr. Ob das Riester-Produkt, das in der fondsgebundenen Variante für die gesetzlich vorgeschriebene Beitragsgarantie einen ganz wesentlichen Teil an sogenannten „ausfallsicheren“ Produkten, in der Regel Staatsanleihen, aufweisen muss, angesichts der sich seit Jahren in nur eine Richtung entwickelnden Eurozone nicht die höher spekulative Anlageform ist, sei mal dahingestellt.

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Daneben verkennen Olaf Scholz und seine Gesetzgebungshelfer selbstverständlich, dass der Derivatemarkt nicht nur und in jedem Fall schädlich ist. So sichern in der Fondswährung Euro geführte Investmentfonds (aber natürlich auch internationale Unternehmen) ihre in Fremdwährung gehaltenen Anlagen selbstverständlich in hohem Maße mit Devisentermingeschäften ab und verhindern so negative Währungseffekte auf den Gewinn und die steuerliche Bemessungsgrundlage, sichern so also auch das Steueraufkommen ab. Niemand der bei klarem Verstand ist, würde auf die Idee kommen, in dem Abschluss dieser Termingeschäfte eine Spekulation zu sehen. Spekulation wäre eher, diese Geschäfte nicht abzuschließen und somit Währungsrisiken als unbeeinflussbare Unwägbarkeit ins Portfolio zu holen, statt die Risiken und die damit verbundenen Renditechancen der eigentlichen Fondsanlagen.

Die ebenfalls in den Finanzkrisenjahren 2008/2009 und mitunter noch bis heute regelmäßig zu lesenden Phantasiezahlen zum ausstehenden Nominalvolumen des globalen Derivatemarkts (800 Billionen!) sind ebenfalls einzuordnen. Besonders gerne wird diese Zahl von linken und anderen gleichermaßen unwissenden Politikern sowie von Autoren in den Raum gestellt, die nie selbst einmal in finanznahen Bereichen gearbeitet haben (wie beispielsweise Dokumentarfilm-Produzenten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkprogramme) und die nie verstanden haben, für welche Zwecke Derivate hauptsächlich eingesetzt werden.

Nehmen wir beispielsweise die Deutsche Rohstoff AG, die sich bei uns im Atypisch Still Portfolio befindet. Das Kerngeschäft ist direkt abhängig von der Entwicklung des Ölpreises, was folglich ihr Hauptrisiko ist. Nehmen wir einen Jahresumsatz von 100 Mio. EUR aus dem Verkauf von Öl an. Die Deutsche Rohstoff sichert rollierend ihre Jahresproduktion gegen Ölpreisveränderung ab. Dies erfolgt technisch über sogenannte costless collars oder Zero-Cost-Collars. Das ist eine Optionsstrategie aus (im einfachsten Fall) zwei Optionsgeschäften, die einem im Ergebnis kostenlos ermöglicht, sich gegen sinkende Preise in einer gewissen Bandbreite abzusichern, gegen Verzicht auf Teilhabe an Preissteigerungen. Bei einer Jahresproduktion von 100 Mio. EUR schließt die Deutsche Rohstoff also zwei gegenläufige Optionskontrakte mit einem Nominalwert von insgesamt 2x 100 Mio. EUR ab. 200 Mio. EUR ausstehendes Derivatevolumen bei einer Firma, die nur 100 Mio. Umsatz hat! Skandal, die Pleite steht ja offenbar kurz bevor! Zocker! Das wäre doch eine nette Aufregerschlagzeile für deutsche Zeitungen, für welche ein Branchenäquivalent für „dumb german money“ hinsichtlich der Wirtschafts- und Finanzberichterstattung noch zu finden ist! Das tatsächliche Ergebnis ist schlicht und einfach, dass die Deutsche Rohstoff kein Mehrrisiko hat, aber ihr Geschäft durch den Abschluss von Derivaten wesentlich besser und planbarer betreiben kann. Der Vollständigkeit halber sei ergänzt, dass es ein bei Termingeschäften ein Kontrahentenausfallrisiko gibt, wofür aber an jeder Terminbörse Mitigationsmaßnahmen vorgesehen sind und auch im außerbörslichen Handel durch die EU-Marktinfrastrukturverordnung Risikominderungstechniken (z.B. gegenseitige Besicherung) vorgeschrieben sind.

Aber wir sind ein wenig ab vom Thema gekommen. Ausgangspunkt war ja die aktuelle gesetzgeberische Fehlleistung von Olaf Scholz. Geändert werden soll außerdem der § 20 Abs. 2 EStG, der Regelungen für die Besteuerung von Veräußerungstatbeständen enthält. Hier wird nun neu geregelt, dass der durch den Ausfall einer Kapitalforderung oder die Ausbuchung einer Aktie entstandene Verlust steuerlich unbeachtlich sein soll. Ersteres ist insbesondere für die P2P-Fraktion relevant, wenn auch Lars Wrobbel bereits einen alternativen Ansatz für die Besteuerung von P2P-Einkünften präsentiert hat. Allen, die ausgefallene P2P-Kredite nach konventioneller Sichtweise als ausgefallene Kapitalforderung betrachten und sich nach der jüngeren BFH-Rechtsprechung über die potentielle Möglichkeit der steuermindernden Berücksichtigung gefreut haben, soll hiermit ein Strich durch die Rechnung gemacht werden. Dies betrifft im Grundsatz auch ausgefallene Staatsanleihen, die es ja immerhin in der Eurozone seit der Griechenlandrettung nicht mehr gibt.

Wir begreifen es jedenfalls als Affront, auf welche Weise Anleger mit dem Jahressteuergesetz 2019 bestraft werden sollen. Die Vermögensverluste aus ausgebuchten Aktien, ausgefallenen Anleihen und verfallenen Optionen sind real. Anleger werden so doppelt bestraft. Würde der Staat nicht so eklatant mit dem ihm anvertrauten Geld misswirtschaften (siehe 1. Teil dieser Serie), wäre auch der der Druck nicht so groß, mit versteckten Steuererhöhungen zusätzliche Einnahmen generieren zu müssen. Nachdem die gesetzliche Rente demographiebedingt im Wesentlichen ausfällt (wir kalkulieren jedenfalls schon gar nicht mehr damit und sehen es als nettes Taschengeld im Rentenalter) und die auf verstärkte private Vermögensbildung gerichtete Rentenreform aus 2001/2002 (Stichwort Riester) in der Praxis im Wesentlichen ungeeignet dafür ist, substantielle Rentenansprüche zu erwerben, werden dem eigeninitiativen und eigenverantwortlichen Anleger durch den Staat alljährlich neue Knüppel zwischen die Beine geworfen. Bis heute gibt es kein US-äquivalentes Aktienvorsorgemodell. Im Gegenteil werden die Steuerfreibeträge alle paar Jahre reduziert, die Spekulationsfrist ist weggefallen, bei dem homöpathischsten Kapitalertrag kommt bereits die Kapitalertragspolizei und knöpft schon bei der Auszahlung centgenau die Vermögensbildungs-Maut ab.

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Es ist ja neuerdings Mode, schon bei Erlass neuer Gesetze die gewünschte Konnotation gleich in den Titel zu schreiben und dass dadurch der angestrebte Zweck als bereits erreichtes Ziel insinuiert wird. Man denke etwa an die Paradebeispiele des Gute-Kita-Gesetzes, des Starke-Familien-Gesetzes und des Geordnete-Rückkehr-Gesetzes. Derart offensichtliches Framing und Nudging ist für den denkenden Menschen ohnehin schon eine unverfrorene Frechheit und Zumutung. So im Übrigen auch hier, das Jahressteuergesetz (wie es früher regelmäßig hieß) 2019 heißt Entwurf eines Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität (und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften) und führt damit massiv in die Irre. Ein vermeintlich freundlich klingendes Gesetz enthält steuerliche Bomben für Privatanleger. Richtig bezeichnet wäre es ein Vermögensbildungserschwerungsgesetz. Jetzt ist ein einzelnes Gesetz sicher kein Deal-Breaker für die eigene Altersvorsorge. Es setzt nur in bedenklicher Weise die unverantwortliche Gesetzgebung fort, die sich in den letzten Jahren bei der privaten Vermögensbildung gezeigt hat.

Aber in der schwarz geführten SPD-Regierung liegt der Fokus allgemein nicht auf Vermögensbildung. Stattdessen wird mit vollen Händen Geld für sogenanntes Soziales ausgegeben. Insbesondere an der angeblich allgegenwärtig drohenden Altersarmut scheint sich gefühlt die halbe Regierungsarbeit auszurichten. Die Altersarmut soll nach SPD-Auffassung heutzutage wieder in erster Linie durch den Staat und nicht durch Eigenverantwortung bekämpft werden, obwohl genau das nicht das Ziel der Rentenreform von 2001 war. Zur Altersarmut ist im Übrigen noch Folgendes zu ergänzen:

In den Augen der Bevölkerung ist Altersarmut besonders bedeutend. Mit der Ruhestandsphase steigt das Armutsrisiko aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger deutlich. Insgesamt zwei von drei Befragten sehen in der Ruhestandsphase ein hohes oder sehr hohes Risiko, von Armut betroffen zu sein. Die Wahrnehmung steht damit im Widerspruch zu den empirischen Befunden in Kapitel B.IV.1. Den maßgeblichen Kennziffern zufolge stellt Armut im Alter heutzutage für die große Mehrheit der Senioren kein drängendes Problem dar. Weder die Armutsrisikoquote […] noch die amtlich registrierte Bedürftigkeit […] sind im Vergleich zu anderen Altersgruppen auffällig. Die Ursache, warum jüngere Befragte das Risiko der Altersarmut deutlich dramatischer einschätzen als Seniorinnen und Senioren selbst, wurde im Rahmen der Studie nicht näher beleuchtet. Ein Grund mag auch in der Ungewissheit einer individuell noch unbekannten Lebensphase liegen […].
Fünfter Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, S. 110

Ausgesagt wird damit, dass Altersarmut gar nicht das Massenthema ist, das die SPD gerne als solches darstellt, wo gefühlt die Hälfte der Bevölkerung in Armut versinken wird. Der Befund betrifft allerdings heutige Rentner und heutige junge Leute. Für letztere sieht zumindest die spätere gesetzliche Rente natürlich nicht so rosig aus. Gerade deshalb wäre es so wichtig, die private Vermögensbildung zu fördern, wie das nachfolgende Bild eindrucksvoll klarmacht:

Dow Jones Industrial Average 1896–2019 (logarithmisch)

Auch ist kaum eine Partei so eifrig dabei, ihre Gesetzgebung mit großformatigen Anzeigenkampagnen in die Zeitungen und auf die Plakatwände zu bringen. 

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Kosten der Anzeigenkampagne: 1,15 Millionen Euro – veröffentlicht, bevor der Bundestag das Gesetz erlassen hat
Kosten der Anzeigenkampagne: 1,3 Millionen Euro

Dabei bleibt es natürlich nicht. Print-Werbung. Online-Werbung. Eine eigene Webseite rentenpaket.de.

Und auch aktuell wird wieder Werbung für die herausragende Regierungsarbeit gemacht, obwohl das Gesetz noch gar nicht beschlossen wurde:

Die Grundsteuer ist ein weiteres gutes Beispiel für Gesetzgebungsversagen. Es ist den Gesetzgebern der letzten Jahre offenbar nicht komisch vorgekommen, dass wesentliche Besteuerungsgrundlagen auf eine Berechnung im Jahr 1964 zurückgehen, die über die Jahre lediglich hochgerechnet wurden, statt sie seitdem einmal realitätsnah neu festzustellen. Übertroffen nur von den neuen Bundesländern, für die die tatsächliche Feststellung sogar zuletzt im Jahr 1935 erfolgte. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Vorgehen zur großen Überraschung aller kassiert. Eine Institution, für die wir dankbar sein können in Deutschland.

Wir fassen also zusammen. Die Regierungen aller Couleur sind fortwährend damit beschäftigt, Unsummen an Steuereinnahmen in den Sozialetat umzuleiten, ohne dass die Masse davon am Ende mehr als ein Taschengeld im Rentenalter erhalten könnte. Gleichzeitig erhalten Privatanleger seit Jahren einen Knüppel nach dem anderen zwischen die Beine geworfen. Produktverbote (CfDs, binäre Optionen – die wir selbst aber auch nicht empfehlen würden). Unterbundener Produkthandel (bei Nichterfüllung der MiFid-2-Vorgaben durch Nicht-EU-Marktteilnehmer). Strafsteuern auf unrealisierte Gewinne (Vorabpauschale). Teilweise asymmetrische Besteuerungen (Gewinne werden besteuert, ohne dass Verluste anerkannt werden). Der Sparerfreibetrag kennt in der Tendenz nur eine Richtung:

bis 1999 3.111 €
2000–2001 1.585 €
2002–2003 1.601 €
2004–2006 1.421 €
2007 bis heute 801 €

Was tun?

Nun als Krone in der nicht enden wollenden Kette der Zumutungen auch noch die sogenannte Finanztransaktions-/Aktienanlagesteuer. Wie soll man als Privatanleger damit umgehen? Nun, wir von Atypisch Still beschreiten bereits seit längerer Zeit einen alternativen Weg:

1. Internationalisieren 

Wie schon oft geschrieben, wurde der gordische Knoten des deutschen Brokerkartells mit dem Markteintritt des niederländischen Discount-Brokers und Preisbrechers Degiro durchschlagen. Die Depoteröffnung erfolgte bereits im ersten Monat nach Markteintritt. Durch den damit aktiv unterbundenen deutschen Kapitalertragsteuerabzug haben wir uns bis zu 1,5 Jahre Steuerstundung verschafft. Das lohnt natürlich nicht bei 2 Mark Fuffzig, aber sehr wohl bereits bei 1.000 Euro Steuernachzahlung aufgrund des unterbliebenen Abgeltungsteuerabzugs.

Degiro ermöglicht außerdem dem dreisten, unsystematischen und unfairen Angriff auf die Vermögensbildung durch die Scholz-Steuer (Finanztransaktionsteuer) zu entgehen. Über 50 Börsen und Handelsplätze stehen zur Verfügung, um direkt vor Ort Aktien zum günstigen Preis zu handeln, anstatt an deutschen Börsen Olaf Scholz die Taschen vollzumachen. Sicher wird im Zweifel auch der ein oder andere deutsche Standardwert an ausländischen Börsen erhältlich sein.

Darüber hinaus bezahlt man bei Degiro für eine 10.000-Euro-Amazon-Order 0,52 Euro Handelsgebühren – und somit immer noch 48 % weniger als bei Neuling Trade Republic (die wir demnächst aber eingehend prüfen werden 😉 ). Und über den Rest der deutschen Hochpreis-Brokerlandschaft wollen wir gar nicht erst reden. Hier ist jedes Wort zuviel.

2. Steuern steuern

Wer sich nicht wehrt, endet am Herd. Wer sich bei der Verhinderung der Vermögensbildung nicht wehrt, der endet in der gesetzlichen Rente. Das sollte man zwar nicht vermeiden, aber man sollte sich nicht hauptsächlich darauf verlassen. Wir kalkulieren mit der gesetzlichen Rente überhaupt nicht mehr. Folglich nehmen wir im Gegenzug in eigener Verantwortung unseren Vermögensaufbau selbst in die Hand.

Wir haben das hier im Blog immer wieder geschrieben: um den Turbogang einzulegen, braucht es mehr Einnahmen, weniger Steuern und weniger Kosten. Gerade Steuern ist ein Reizthema in Deutschland, aber man sollte sich damit beschäftigen, um nicht mehr bezahlen zu müssen, als notwendig. 

Einen guten Einstieg ins Thema findet man immer mit Johann C. Köbers Standardwerk „Steuern steuern„*. Es ist im Wesentlichen das erste Buch, das dieses Thema umfangreich der breiten Masse zugänglich macht. Alex Fischer Düsseldorf nimmt den Ball ebenfalls gerade mit seinem Steuer-Coaching auf und verkündet zu Recht, dass das Thema zu wichtig ist und zu teuer sein kann, wenn man es nicht in die eigene Hand nimmt. Dass das letztere Programm inhaltlich anscheinend im Wesentlichen Udo Heimanns Vortragsreihe „Deutschland = Steueroase ?!“ entspricht und Fischer Düsseldorf das ganze nur unter eigenem Namen professioneller als bisher vermarktet – geschenkt. Udo Heimann an dieser Stelle eine Top-Empfehlung von uns – es lohnt sich, sich alles, was von ihm online verfügbar ist, einmal anzusehen. Hier seine Facebook-Seite, daneben gibt es einige längere Youtube-Interviews. Prädikat wertvoll!

3. Vermögensverwaltung im Firmenmantel statt Privat

Eines ist einfach eine unumstößliche Wahrheit in Deutschland, nämlich dass Unternehmertum wesentlich günstiger besteuert wird als Arbeitnehmertum und Privatanlegertum.

Während man sich privat ohne Probleme und relativ früh im Bereich von 42 % Grenzsteuersatz plus Soli befindet, hat man mit der Aktienanlage in einer Kapitalgesellschaft – bereits ohne Weiteres! – die Möglichkeit in einen Steuersatzbereich von 22,8 bis hin in den Bereich um 30 % (abhängig vom Gewerbesteuerhebesatz) vorzustoßen. Eine immobilienverwaltende Kapitalgesellschaft kann relativ einfach gewerbesteuerfrei sein und zahlt dann nur noch knapp 16 %. 16% bezahlen wir auch bei Aktien in unserer Sparschwein-UG. Das ist etwa ein Drittel des Spitzensteuersatzes im Privatbereich. Dazu kommen fast vollständig steuerfreie Aktienveräußerungsgewinne und volle Abzugsfähigkeit aller Kosten. Jeder einzelne Faktor kann bereits von unfassbarem Wert sein, wenn man sich die mögliche Parallelverschiebung der Zinseszinskurve vor Augen führt.

So groß die Hindernisse bei einer Firmengründung auch erscheinen mögen, aber gerade junge Leute haben alle Zeit der Welt, sich zu entscheiden, ob sie etwas Gehirnschmalz investieren wollen, um die Zinseszinskurve am längeren Ende extrem ausschlagen zu lassen. Klar, man hat Archivierungspflichten, Buchführungspflichten, steuerliche Melde- und Erklärungspflichten. Aber mal ganz ehrlich. Die Degiro-PDFs archivieren wir ohnehin auf der Festplatte, weil wir sie für die Erstellung der privaten Steuererklärungen brauchen. Wir haben eine umfangreiche Excel-Tabelle zur Nachverfolgung unserer Aktienaktivitäten. Wir haben seit Depoteröffnung bei Degiro in jedem einzelnen Jahr die diesbezügliche Steuererklärung selbst erstellt und abgegeben. Also, so viel mehr müsste man gar nicht mehr zusätzlich machen, wenn man das Depot in einen Firmenmantel steckt. Eben nur anders. Und ohne inhaltliche, fachliche Fortbildung bei Unternehmensführung, Bilanzierung und Besteuerung geht es natürlich nicht (außer man lagert kostenintensiv aus, was natürlich immer alternativ möglich ist). Eine Investition in Wissen bringt immer noch, aber gerade in einer Niedrigzinsphase, die meisten Zinsen. Nichts zahlt sich langfristig mehr aus, als informiert zu sein.

Der wichtigste Gebrauchsgegenstand, den ich kenne, ist die Information.
Gordon Gekko

Einziger Lichtblick im Besteuerungsbereich ist der im Raum stehende Vorschlag, ein Optionsrecht für Personengesellschaften einzuführen, dass diese zur Körperschaftsbesteuerung wechseln können. Dann hätte man möglicherweise als Personengesellschaft sowohl den Gewerbesteuerfreibetrag und gleichzeitig den günstigen Körperschaftsteuersatz. Aber warten wir ab. Solange keine große Steuerreform in Sicht ist, ist von steuerlicher Seite nicht viel Rückenwind zu erwarten.

Fazit

Was nehmen wir also mit aus diesem Artikel. Der Staat spielt beim Thema Vermögensbildung gesetzgeberisch konsequent gegen den Anleger. Die aktive Zerstörung der breiten Vermögensbildung ist Realität. Milliardenausgaben (wie die Bankenrettung) werden ein Milliardengrab. Eklatante politische Finanzinkompetenz und Misswirtschaft führen zu knappen Staatshaushalten. Milliardensteuerausfälle werden über Jahre nicht aktiv angegangen und drohen zu verjähren. Das deshalb im Staatshaushalt fehlende Geld muss auf anderem Wege eingetrieben werden. Der Privatanleger läuft in der Regel nicht weg. Er kann sich kaum wehren. Die unsinnigste Gesetzgebung muss er sich gefallen lassen. Die Gesetzgebungsdaumenschraube wird fast im Jahresrhythmus weiter angezogen. Der Staat dagegen feiert auch noch öffentlich in Zeitungsanzeigen und auf Plakatwänden seine eigene verschwenderische Politik. Nun kommt auch noch eine Aktienhandels- & Vermögensbildungssteuer. Die erwiesenermaßen erfolgreichste Langfristanlage, die es gibt, wird denen, deren gesetzliche Rente fortwährend dahinschmilzt wie Eis in der Sonne, dadurch weiter erschwert. Wir für unseren Teil werden weiter alles tun, was wir können, um uns diesem ganzen Unsinn aktiv zu entziehen. Ein Votum gegen Olaf Scholz, gegen schlechte Politik und gegen die ständige Diskriminierung des Aktionariats.

 

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10 Gedanken zu „Die Zerstörung der Vermögensbildung. Eine Abrechnung. (Teil II)“

  1. Pingback: Die Zerstörung der Vermögensbildung. Eine Abrechnung. (Teil I) - Atypisch Still

  2. Ich habe eine Anmerkung bzw. Frage zu den Transaktionskosten bei degiro (Punkt 1). Laut der offiziellen degiro Seite (Deutschland) stimmen die 0,52€ Transaktionskosten für 10.000€ Amazon, aber im Kostenrechner kommen noch weitere Kosten hinzu, die sich effektiv auf 13,60€ belaufen. Damit wäre das dann das 13,6-fache von Trade Republic.
    Oder habt ihr bewusst nur die Transaktionskosten als Beispiel genommen? Auf euren Test von Trade Republic bin ich gespannt.

    1. Hallo Philipp,
      Du hast recht, das sieht man anscheinend auch erst im Kostenrechner. Tatsächlich war das Thema Währungsumrechnung in unserem Bewusstsein etwas untergegangen. Fairerweise kann man bei Degiro aber auch den automatischen Währungsumtausch in die Heimatwährung ausstellen. Dann sammeln sich bspw. USD-Dividenden in USD an und könnten für Käufe in USD für dann 0,52€ Transaktionsgebühren verwendet werden. Insgesamt wäre hier interessant, wie andere Broker mit dem Thema umgehen.

  3. Die meisten Deutschen haben keinerlei Finanzwissen und sind auch ziemlich anfällig für Linkspopulismus. Dementsprechend werden Parteien gewählt, welche ebenfalls links und finanziell inkompetent sind. Geliefert wie bestellt. Dazu noch die illegale Masseneinwanderung welche weitere Billionen langfristig kosten wird. Die nicht vorhandene Aktienkultur in Deutschland lässt mich hauptsächlich in den USA investieren, wodurch ich auch von sinnlosen Transaktionssteuern der Sozis befreit bin. Zum Thema Optionen: Optionen sind ein wunderbares Mittel um den Vermögensaufbau zu beschleunigen, schnell und einfach zu erlernen. In den USA nutzen natürlich wesentlich mehr Privatanleger Optionen während hier im dumb-money Deutschland teure Zertifikate und noch sinnlosere Optionsscheine (ich denke die sind in den USA sogar verboten) an den wirren Kleinanleger verscheuert werden. Es ist wirklich ein Trauerspiel und mehr denn je gilt die Devise: sich informieren und eigenverantwortlich handeln. So wenig Geld wie möglich an den Sozistaat Deutschland überweisen und ggf. in ein schöneres Land später auswandern.

  4. Mehr Hayek, mehr Mises, weniger Politik!

    Ich weiß ihr seht ETFs eher kritisch, aber wäre es vielleicht möglich mal aufzuzeigen, ob ihr euren Ansatz (Sparschwein UG, Degiro) auch für ETFs empfehlen würdet?

    Ansonsten weiter so!

    1. Hi Tommy,
      die Aussagen zu den ETFs klingen immer so negativ 🙂 Dabei wollen wir nur -zugespitzt- auf unserer Ansicht nach unterrepräsentierte Aspekte hinweisen und diese hier dafür vorrangig besprechen. Wir sind nicht generell „gegen“ ETFs, in speziellen Situationen können wir uns ihren Einsatz auch vorstellen. Allerdings fokussieren wir uns klar auf Aktien, da es die Vorgehensweise ist, die für uns genau passend ist. Zu ETFs im Gesellschaftsmantel können wir deshalb nichts sagen, wir nehmen es aber gerne als Anregung auf.
      Beste Grüße!

  5. Pingback: Ein Blick in verschiedene Nachrichten - Atypisch Still

  6. Vielen Dank für diese beiden außerordentlich guten Artikel.
    Das Ausmaß des Wahnsinns der in diesem Land passiert, war mir garnicht so bewusst.
    Das ist alles wirklich unglaublich.

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