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Rückblick auf ein Jahr Corona: Die Gesellschaft und der Tragödie erster Teil

Genau heute vor einem Jahr haben wir eine dreiteilige Artikelserie zur beginnenden Corona-Krise verfasst (Teil 1, Teil 2, Teil 3). Diese hat sich mittlerweile zu einem massiven Eintrag in das Geschichtsbuch ausgewachsen. Zeit für einen Rückblick auf ein Jahr Corona-Crash-Jubiläum.

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Wer hätte das gedacht? Die Finanzkrise 2008/2009 war die schwerste Krise nach dem zweiten Weltkrieg. Und nur zehn Jahre später rollt eine neue Krise an, die noch schwerer und zerstörerischer ist, als die Finanzkrise. Das Negative an Krisen ist, dass sie eine Unmenge an Leidtragenden hervorruft. Das Positive an Krisen ist, dass Fehlentwicklungen schonungslos offengelegt werden.

Das gängige Krisennarrativ bezogen auf Deutschland lautet mittlerweile sinngemäß so: im Frühjahr des Jahres 2020 schlug die Stunde der Exekutive. Es schloss sich der Sommer der Sorglosigkeit an, um im Herbst und Winter 2020/2021 festzustellen, dass man den Entwicklungen politisch permanent hinterherläuft. Wäre die Regierung ein Unternehmen, würde man ihr wohl eine Strategiekrise attestieren müssen. Attestierte man dies, wäre man mit einer Hälfte der Bevölkerung und den Medien auf einer Seite. Attestierte man dies, so bekäme man aber auch beinahe reflexhaft entgegengehalten, dass Pandemiebekämpfung nicht detailliert vorausplanbar ist und man sich doch bitte nicht durch unbegründete Kritik an der Demontage demokratischer Institutionen beteiligen soll. In mittlerweile guter langjähriger Tradition in Deutschland hat sich wieder einmal eine Art binäres Meinungsspektrum herauskristallisiert, indem es vor allem um ein Gegeneinander der Meinungen, als um eine Synthese von These und Antithese geht.

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Wolfgang Kubicki etwa bereitet die „Unerbittlichkeit in der Debattenkultur“ zu Recht Sorge. Demnach befördert Corona ein „dumpfes Schwarz-Weiß-Denken“, „das Differenzierungen nicht mehr zulässt“. Dies ist kein neues Phänomen. Das Gleiche gab es bereits in den Jahren 2015 ff. und wurde im Anschluss an deren Hochphase auch von vielerlei Seite beklagt. Es ist deshalb auch generell ein Stück weit wohlfeil von deutscher Seite, die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft zu diagnostizieren, verkennend, dass die Zustände hierzulande zwar nicht gleich sind, aber eine ähnliche Tendenz aufweisen. Deutschland mit seinen vielgestaltigen Diskursteilnehmern und Diskursräumen muss offenbar vor allem an seiner Debattenkultur arbeiten. Dies ist eine der zentralen Lehren dieser Krise und eigentlich auch bereits der vorangegangenen Krise. Die Frage ist, wo dieses scheinbar allgemeine Bedürfnis nach Konfrontation der Lager herrührt.

Mehrere ganz grundlegende und von der Krise selbst eigentlich unabhängige Faktoren führen nach unserer Auffassung dazu. Dazu gehört zum einen, dass seit Jahren in der Breite der Bevölkerung immer weniger seriöse Presse konsumiert wird, z.B. weil sie Geld kostet. Die Tageszeitungen verlieren fortwährend an Auflage, weil Informationsbrocken im Internet (d.h. oft: Überschriften) gratis angeboten werden. Fehlt jedoch die Finanzierung einer Zeitung, sind zwangsläufig die Recherchekapazitäten an diese Entwicklung anzupassen. Die Redaktionen schrumpfen, die Inhalte werden qualitativ schlechter und vor allem werden sie einheitlicher, da sie vermehrt von Nachrichtenagenturen eingekauft und bloß umgeschrieben werden.

Wird die Zeitung allerdings für die verbliebenen Leser merklich schlechter, so werden auch diese den Konsum abbrechen und eine Spirale nach unten dreht sich weiter. Punkt 1 ist unseres Erachtens also die mangelnde pekuniäre Wertschätzung seriöser Presse mit den damit verbundenen Anpassungsfolgen auf der Produktionsseite. Eine – vermeintlich – einseitige, unkritische Presse, die i.d.R. von Nichtkonsumenten und Sich-der-Medienvielfalt-wegen-angeborener-Neunmalklugheit-nicht-Bewussten beklagt wird, wird durch sie und durch ihr Medienkonsumverhalten teilweise selbst erst hervorgerufen. Konfrontation in Skandalblättern verkauft sich dann besser, als nüchterne Analyse.

Faktor Nummer 2 ist eine Entwicklung, die sich als Folge des Internetzeitalters ausdrückt. Früher konnte man im Regelfall nicht öffentlich gehört werden, ohne vorher diverse Filter überwunden zu haben. Im Fernsehen wurde nicht jeder interviewt, in der Zeitung ebenso wenig. Leserbriefe wurden ebenfalls nach intellektuellem Mindestgehalt gefiltert. Eine Internetöffentlichkeit gab es nicht, auch keine permanente Echtzeit der Nachrichten. Das Internet brach diese Filter jedoch auf.

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Seitdem kann auch jede geistige Amöbe in aller (z.B. Facebook-)Öffentlichkeit rausposaunen, was sie möchte. Dies erfolgt teilweise in so undifferenzierter Art und Weise, dass Nachrichtenportale die Kommentarfunktion wieder einschränken oder gar ganz abschaffen. Was aber dann als Zensur empfunden wird und wiederum zu Unzufriedenheit, Radikalisierung und Zusammenrottung in Parallelechokammern führt. Die diesbezügliche gesellschaftlich notwendige Debatte, wer was und in welcher Form im Internet sagen darf, ist bislang nicht zu Ende geführt worden. Ersichtlich ist jedoch schon jetzt, dass der Mensch seine Rechte zu einem doch beachtlichen Teil nicht in der Weise ausübt, dass das Recht anderer nicht beeinträchtigt wird – offenbar einfach deshalb, weil es möglich ist.

Drittens stellt sich die Frage nach Wahrheit bzw. nach dem, „was ist“. Sicherlich mit einiger Sorge zu betrachten ist die hunderttausendfache Anhängerschaft einiger durch die Krise schlagartig bekannt gewordenen Hobby-Virologen von der Youtube-Universität. Traditionelle Autoritäten werden von dieser Anhängerschaft nicht mehr anerkannt, der Regierung wird ein absichtliches Handeln zum Schaden der Bevölkerung unterstellt, bis hin zu der an Abstrusität nicht zu überbietenden Adenochrom-These. 38 Prozent der 18- bis 45-jährigen Deutschen glauben, die Medien würden auf Druck der Regierung Fakten über das Coronavirus verheimlichen. 16 Prozent glauben, Bill Gates wolle den Menschen zur Bekämpfung des Virus Mikrochips einpflanzen. 21 Prozent der 18- bis 34-Jährigen stimmen der Behauptung zu, 5G und die Corona-Pandemie stünden in verschwörerischem Zusammenhang.

Dabei legen gerade jene Anhänger Wert auf die Garantie der Meinungsfreiheit, freilich verkennend, dass eine kopierte Ansicht irgendeines Internet-Gurus schon gar keine eigene Meinung sein kann. Man könnte ironischerweise also stattdessen diskutieren, ob es auch ein Grundrecht auf eine fremde Meinung gibt. In der Regel erfolgt keine kritische Überprüfung der Argumente in der Laien-Blase. Nicht einmal der Fakt irritiert sie, dass bei der vermeintlichen Weltverschwörung offenbar sämtliche Staaten der Erde (außer Nordkorea) freiwillig mitmachen und es schon in weit weniger komplexen System unmöglich ist, einen Betrug aufrechtzuerhalten, weil dafür alle dichthalten müssen und jeder zusätzliche Mitwisser eine potentielle Gefahr für das Bestehen eines Betrugssystems darstellt. Hier war Wirecard zwar ein erstaunlich dauerhaftes Kuriosum, aber Betrug fliegt früher oder später immer auf. 

Nun also soll im komplexesten – da globalen – System aller Zeiten eine weltumspannende Verschwörung durch einzelne illuminierte Nichtwissenschaftler, unwissenschaftliche Formalwissenschaftler, Hals-Nasen-Ohren-Ärzte und Naturheilkundler aufgedeckt worden sein? Und vor allem: durch alle anderen nicht? Das erscheint bei aller Lebenserfahrung schlicht lächerlich unplausibel. Die Frage ist also, warum folgen den neuen Rattenfängern so viele Menschen? Nachdem doch das Youtube-Crash-Prophetentum von Krall bis Friedrich schon so krachend gescheitert ist? Wir halten auch dies für eine Begleiterscheinung des noch immer recht jungen Internetzeitalters. Zum einen dürfte das allgemein fallende Bildungsniveau neben eine mangelhafte Medienkompetenz und ein äußerst kurzes Gedächtnis in manchen Bevölkerungsteilen treten. Dies gepaart mit einem eklatanten Mangel an Urteilskraft, letztlich auch bekannt als Dunning-Kruger-Effekt. Die FAZ hat dies im Artikel Sie stellen die Realität der Realität in Frage aufgegriffen. Die Ergebnisse einer nichtrepräsentativen soziologischen Studie gibt es hier.

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Wahrheit ist natürlich ein schwieriger Begriff und er könnte jetzt sicherlich langwierig philosophisch ausdiskutiert werden. Nehmen wir aber im Folgenden vereinfachend mal an, es gäbe grundsätzlich ein gemeinsames mehrheitlich geteiltes Verständnis von Wahrheit und auch von Realität, also von dem, worauf man sich als Gesellschaft einigen kann, was wahrscheinlich wahr ist und von dem, was wahrscheinlich falsch ist. Was diese Krise dann offengelegt hat, ist der verstörende Postfaktizismus, der aus den vorgenannten drei Ursachen resultiert. Von Trump vorzelebriert, hat das Postfaktische nun spätestens mit der Corona-Pandemie auch in Teilen der deutschen Bevölkerung Einzug gehalten. Fast könnte man nach den Äußerungen dieser Gruppe den Eindruck gewinnen, hierzulande würden geradezu russische Verhältnisse zum Wahrheitsbegriff vorherrschen. 53 Prozent der Befragten empfinden die Zunahme von bewussten Falschmeldungen im Corona-Kontext als beunruhigend.

Dieses permanente leichte Sägen am Wahrheitsbegriff bzw. auch an der Vorstellung einer gemeinsam so wahrgenommenen wahren Wirklichkeit halten wir für außerordentlich gefährlich und für eine der größten Gefahren des Internetzeitalters insgesamt. Über die Therapie kann man immer streiten, aber wenigstens die Diagnose sollte eine Gesellschaft mehrheitlich teilen können. Ein bislang überschaubarer Anteil der Deutschen gibt sich mittlerweile renitent aufklärungsfeindlich, als Vertreter einer Gegenöffentlichkeit, einer Gegengemeinschaft, als Gemeinschaft der vermeintlich Erwachten mit Geltungs-, Deutungs- und Wahrheitsanspruch gegenüber dem Rest. Schon der pejorative Gebrauch des „Schlafschafs“ spricht für sich.

Sicherlich dürfte auch die durch die Digitalisierung grundsätzlich unterstützte Vereinzelungstendenz aufgrund vermehrter Entbehrlichkeit der Inanspruchnahme der Gemeinschaft zu einer Versonderbarung einzelner Individuen führen, die von dem im Vordigitalzeitalter erfolgreichen Prinzip der sozialen Normung durch Mitmenschen nicht mehr erreicht werden können. Die gesellschaftlichen Fliehkräfte werden größer und ein substantieller Teil wird vom Gravitationsfeld der gesellschaftlichen Mitte, die den Staat letztlich ausmacht und fundamental bildet, nicht mehr gehalten. Wir leben heute in einer Welt, in der ein einziger Beitrag in einem Online-Forum ausreicht, um weltweit Anhänger einer nicht bewiesenen Verschwörungstheorie in beträchtlicher Anzahl um sich zu scharren.

Allerdings gibt es neben der rein behaupteten Seite der Medaille auch noch die andere Seite der Medaille. Denn wir haben zwar natürlich keine Krise im Sinne eines, Zitat, „gleichgeschalteten“ Mediensektors in Deutschland. Schon aufgrund der Pauschalität dieses Vorwurfs ist ein solcher gar nicht ernst zu nehmen. Wohl aber haben wir an einigen Stellen im System mit Sicherheit Qualitätsprobleme. Nicht allein aus der mangelnden Zahlungsbereitschaft vieler Konsumenten, die eingangs schon erwähnt wurde, oder aufgrund der inhaltlichen Verödung und Verengung durch Nachrichtenagenturen.

Sondern wir sehen medial in Teilen vor allem eine Krise der Sorgfalt und der angewandten Statistik. Es ist nicht nachvollziehbar, wie noch ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie manche Journalisten, die gerade in Zeiten erhöhten Bedarfs nach verlässlichen Informationen eine höhere Verantwortung tragen, nicht zwischen dem Virus SARS-CoV2 und der Erkrankung Covid-19 unterscheiden können. Es ist nicht nachvollziehbar, warum bei der Berichterstattung über Selbsttestzulassungen nicht sauber zwischen (existierenden) Schnelltests und (neu zugelassenen) Selbsttests unterschieden wird. Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Intensität des Infektionsgeschehens immer noch an jedem einzelnen Tag anhand absoluter Zahlen berichtet wird und beispielsweise die Positivrate und ihre Veränderung in der Regel keine Erwähnung finden.

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Es ist – aber das kann man den Medien originär nicht vorwerfen – nicht nachvollziehbar, warum mit der 50er-Inzidenz an einem Wert aus dem Mai 2020 festgehalten wird. An einem Wert, der im Mai 2020 bei einer Testzahl von 300-400.000 Tests pro Woche allein politisch festgelegt wurde, während aktuell 1,1-1,2 Millionen Tests in der Woche durchgeführt werden, mittels derer bei gleicher Posivitivrate also schon aufgrund der höheren Testzahl eine vierfach höhere Inzidenzzahl ermittelt wird, als im Mai letzten Jahres. Ohne, dass das Infektionsgeschehen im Kern ein anderes wäre. Anders formuliert: jede Absolutangabe ohne gleichzeitige Relativangabe ist weitgehend wertlos – hat aber dramatische politische Konsequenzen, da sich Realpolitik regelmäßig vor allem nach dem richtet, was durch das Volk medial wahrgenommen wird. Dies sollte sich eigentlich mittlerweile herumgesprochen haben. Es spricht für mangelnden Anspruch an sich selbst, weiter in der Absolutberichterstattungsweise zu verharren, obwohl man es zwischenzeitlich besser wissen könnte, oder aber für ein mangelndes Vertrauen in den Rezipienten, die Werte richtig zu interpretieren.

Beides ist jedoch nicht Ausdruck einer journalistischen Arbeitsweise und der Berufsstand musste sich in den letzten Jahren ja nun auch noch vermehrt den Vorwurf des Haltungsjournalismus machen lassen. Der Spiegel selbst, von dessen Gründer die journalistische Maxime „sagen, was ist“ stammt, hat im Sommer 2020 ganz offen darüber diskutiert, ob man überhaupt noch objektiv oder gar neutral berichten müsste oder ob es nicht ein Gebot sinngemäß zum zielorientierten Berichten gäbe. Diese Diskussion letztlich weg vom Journalismus ist gefährlich, da es natürlich nicht nur die unabsichtliche Methode der Falschberichterstattung aus Nachlässigkeit oder die Berichterstattung „mit Spin“ oder „Haltung“ gibt, sondern außerdem die absichtliche Falschberichterstattung. Falschberichterstattung wird seit Jahrzehnten auch in der Weise praktiziert, dass Wissen vermeintlich vermehrt wird, mit dem Ziel insgesamt Unwissen zu schaffen. Ein ganzer Wissenschaftszweig hat sich formiert, der die Wissenschaft des absichtlichen Schaffens von Unwissen zum Gegenstand hat: die Agnotologie.

Falschnachrichten beginnen letztlich schon bei jedem einzelnen Internetnutzer mit der fortwährenden Verbreitung von verstümmelten Zitaten. Für wie viele Bullshit-Zitate der arme Albert Einstein auf Facebook schon herhalten musste! Wir sind schon lange soweit, dass wir alles, was von Laien verbreitet wird, einem Faktencheck unterziehen. Doch selbst Tim Schäfer, seines Zeichens Finanzblogurgestein, veröffentlichte letztens die unbelegte These, Albert Einstein hätte von seinem Nobelpreisgeld Aktien gekauft. Das erscheint unwahrscheinlich, denn Einstein wurde schon 1919 im Rahmen seiner Scheidung dazu verurteilt, das potentielle Preisgeld eines etwaigen späteren Nobelpreises an seine ehemalige Frau auszuzahlen. Pars pro toto: es wird nicht einmal mehr von hauptberuflichen Journalisten vorab geprüft, bevor verbreitet wird. Es herrscht somit der Diskurs der behaupteten ungeprüften Tatsachen. Ob Einstein jemals vom Zinseszinseffekt als achtem Weltwunder gesprochen hat, ist im Übrigen…nicht belegt.

Aber wen interessiert überhaupt noch, was wahr ist? Ganze 30 % der Deutschen halten die Aussage „Es gibt geheime Mächte, die die Welt steuern“ für richtig oder wahrscheinlich richtig. Dass das offensichtlich nicht richtig sein kann, zeigt sich bereits in der Vielfalt der Antworten auf die diesbezügliche Nachfrage unter den Zustimmenden, welche Mächte dies konkret sein sollen. Nur 20 % der Deutschen können dagegen richtig sagen, was eine 30%ige Niederschlagswahrscheinlichkeit bedeutet und folglich eine solche oder ähnliche Faktenangaben in Zeitungen auch richtig interpretieren. Dies spricht für ein eklatantes Unvermögen, mit Zahlen umzugehen; siehe die permanente Verwendung der testzahlabhängigen, absoluten Inzidenzzahl. Noch schlimmer treiben es nur die Amerikaner: 30 % von 1.002 von der Washington Post befragten Amerikanern konnten im Jahr 2006 nicht sagen, in welchem Jahr 9/11 war. Aber wie viele Deutsche wissen heute, was der Deutsche Herbst war und wann er war? 68 Prozent der 18- bis 29-jährigen Deutschen wissen nicht, was am 8. Mai 1945 war – wohlgemerkt: so kurz nach dem Schulabschluss. Dies alles spricht dafür, dass es manche Journalisten mit dem Anspruch an sich selbst eben schlicht nur so nehmen, wie ein guter Teil der Bevölkerung auch. Von der Wissensgesellschaft über die zunehmend schlechtere allgemeine Bildung in die Dissensgesellschaft?

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Falschnachrichten sind insgesamt aber auch kein so neues Phänomen. So wird, wie oben schon kurz angerissen, von den eher einflussreicheren Großkonzernen mitunter einer Strategie der Vermehrung des Wissens zur Herstellung von Nichtwissen gefahren. Dokumentiert ist dies zum Beispiel bei den Tabakkonzernen bei der Frage der Nikotinabhängigkeit oder bei Ölkonzernen in Klimawandelfragen. Auch die politischen Entscheider über die Verwendung des schon in Kleinstmengen schädlichen Bisphenol A in Plastikflaschen wurden durch bezahlte Wissenschaft bewusst manipuliert. Für sich genommen ist keine Studie absichtlich falsch. Sie wurden aber ggfs. nicht nach den strengen Maßstäben unabhängiger Wissenschaft durchgeführt. Einmal in der Welt, sind sie nun einmal Bestandteil des wissenschaftlichen Diskurses. Bedeutung erlangt das alles beispielsweise im Kontext von Gerichtsverfahren. Auch ein Richter kann a priori nicht wissen, ob Zigaretten abhängig machen oder nicht. Jedenfalls kann er dazu eine Meinung haben, nicht aber allein auf der Basis urteilen. Deshalb bedient er sich bei der Urteilsfindung des Standes der Wissenschaft. Gibt es lediglich unabhängig durchgeführte Studien, die eine Nikotinabhängigkeit belegen, ist der Fall klar. Wurden die existierenden Studien aber durch eine Flut von bezahlten Studien und Gutachten bewusst verwässert, kann man nicht mehr eindeutig sagen, wie der Stand der Wissenschaft denn überhaupt ist oder welche die herrschende Meinung ist. So kann man sich beispielsweise auch einmal fragen, welche unabhängige Wissenschaft ein derart starkes Interesse daran hätte, über 800 unabhängige Studien über Glyphosat zu erstellen.

Falschnachrichten drohen uns aber in noch viel größerem, nicht mehr aufdeckbaren und nicht einmal mehr wahrnehmbaren Ausmaß. Mit der sogenannten GPT-3-Technologie existiert mittlerweile eine Software, die Texte auf menschlichem Niveau verfassen kann. Da man folglich nicht mehr erkennen kann, ob der Urheber menschlich ist oder nicht, wird sogar schon eine Kennzeichnungspflicht diskutiert. Der Entwickler selbst hat schon die Vorgängerversion GPT-2 (man vermutet, aus PR-Gründen) als zu gefährlich für eine Veröffentlichung für die Allgemeinheit bezeichnet. Aber da mag grundsätzlich schon was dran sein. Hurra, könnte man rufen, wenn man die so automatisch erstellten wie damit im Ergebnis auch völlig wert- und nutzlosen Börsennachrichten z.B. von Ariva sieht, die Google News so unerträglich verstopfen, wenn man Börsennachrichten sucht. Fakt ist aber eins: es ist nicht mehr sichergestellt, dass man in Zukunft die Urheberschaft von Texten noch erkennen kann.

Maschinelles Lernen sowie neuronale Netze erlauben es heutzutage, täuschend echte Fake-Videos zu produzieren. Schon im Jahr 2015 war zeitweise völlig unklar, ob in der Varoufake-Affäre nun wirklich ein Mittelfinger zu sehen war oder nicht. Neuerdings kann durch weiterentwickelte Software auch z.B. Barack Obama täuschend echt gefaked werden. Gleichermaßen lassen sich Stimmen faken. Im Jahr 2019 wurde einen Stimmen-Deepfake dazu verwendet, um einen britischen Konzern-CEO betrügerisch zu einer Überweisung in Höhe von 220.000 Euro zu veranlassen. Nicht alles ist unsichtbar und manches ist offensichtlich: mittlerweile gibt es sogar schon rein digitale Influencer – aber wer steckt dahinter? Was sind die Absichten? Follower-Zahl: drei Millionen.

In Summe droht uns also nicht nur eine Gefährdung des Wahrheitsbegriffs durch Mitmenschen, die fahrlässig am Fundament unseres Zusammenlebens zündeln, sondern auch von technologischer Seite. Wir werden uns in Zukunft schlicht nicht mehr sicher sein können, was wahr ist und was nicht. Der dritte Weltkrieg ist bei Lichte betrachtet womöglich nur einen Hackerangriff auf eine US-Fernsehanstalt verbunden mit einer Deepfake-Ansprache Joe Bidens entfernt. Wir stehen am Beginn einer der interessantesten und gefährlichsten Phasen der Menschheit. Die Wahrheit und die Verständigung darauf ist also schon jetzt unmittelbar bedroht. Umso wichtiger ist jedoch, dass man nicht noch aktiv wider besseres Wissen dazu beiträgt, aktiv zu verwischen, was wahr ist und was nicht. Ansonsten drohen uns wirklich russische Verhältnisse, in denen man niemandem mehr vertrauen kann. Demokratie lebt von Voraussetzungen, die sie selbst nicht garantieren kann. Die Möglichkeit, vertrauen zu können, ist so eine Grundvoraussetzung.

Dies war die Abhandlung zu einer der besonders besorgniserregenden gesellschaftlichen Facetten der Corona-Krise, letztlich zu der Frage: „Was ist?“. Was ist, und worauf können wir uns einigen, „was ist“? Wohlgemerkt, wir wollen hier keinen eigenen Wahrheitsanspruch vertreten, wir wollen vor allem im Interesse der Wiederverständigung schreiben. Eine Demokratie lebt davon, dass ihr die Demokraten nicht weglaufen. Uns ist unklar, ob und wie diese verschiedenen beschriebenen Entwicklungen überhaupt eingefangen werden können. Die unter den (registrierten und kommerziell ausgebeuteten) Markennamen bekanntgewordenen Randgruppen jedenfalls werden nach der Krise sehr wahrscheinlich schnell wieder verschwinden und eine Horde Enttäuschter zurücklassen, die einsehen musste, dass sie ihre Messiasse wieder einmal nur viel eigenes Geld gekostet haben. Der von ihnen angerichtete Schaden an den Begriffen „Wahrheit“, „Fakten“ und „Demokratie“ aber ist vermutlich von Dauer.

Dies war der Rückblick auf die gesellschaftlichen Implikationen der Corona-Krise. Der nächste Teil unserer neuen Artikelserie kommt in Kürze! 😉 

 

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2 Gedanken zu „Rückblick auf ein Jahr Corona: Die Gesellschaft und der Tragödie erster Teil“

  1. Eine gut gemachter Rückblick, den ich in vielen Aspekten teile, nur nicht so lesbar formulieren könnte.

    Eine Anmerkung zur Meinungsfreiheit aus deutscher und rechtlicher Sicht zur Meinungsfreiheit gehört immer auch die Meinungsäußerungsfreiheit. Wer seine Meinung im Kopf behalten muss und sie nicht äußern darf, hat keine Meinungsfreiheit im Sinne unseres Grundgesetzes. Und selbstverständlich gehört es zur Meinungsfreiheit, sich aus selbst (!) ausgewählten Quellen zu unterrichten und dabei auch eine fremde Meinung zu übernehmen – oder einfach auch gar keine Meinung zu haben. Wenn diese Quellen unseriös sind, ist das nicht ein Problem der Meinungsfreiheit desjenigen, der sich das anschaut.
    Die Grenzen der Meinungsfreiheit liegen da, wo es um Straftatbestände geht, von denen es aus gutem Grund nur sehr wenige gibt. Dazu gehören etwa Beleidigungen oder falsche Tatsachenbehauptungen. Wer aber etwas nicht als Tatsache äußert, sondern als Meinung, kann den größten Blödsinn vertreten. Ist dann halt vielleicht peinlich, aber nicht verboten.
    Eine andere Frage ist es, muss ein Medium wie ein Forum, eine Kommentarspalte wie hier, oder auch eine Plattform wie YT, Twitter, usw. jegliche Meinung dulden? Gibt es sowas wie ein Hausrecht? Der Gesetzgeber früherer Jahre hat mal die Wertung getroffen, dass es eine Haftungsprivilegierung geben solle, d.h. selbst wenn eine Plattform einen rechtswidrigen Inhalt hat, haftet sie dafür nicht, solange sie nicht davon weiß, und sie muss auch nicht alle Inhalte voruntersuchen. Der heutige Gesetzgeber macht das mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz faktisch komplett andersherum, was die Perfidie, aber auch Schäbigkeit und Meinungsfreiheits-feindlichkeit unserer Regierung deutlich zeigt. Und wenn man vor diesem Hintergrund die Diskussion um Art. 230 in den USA betrachtet, könnte man dazu kommen, dass Trump da vielleicht doch einen richtigen Punkt hatte – wenngleich vielleicht aus anderen Motiven.

    Ebenso aus gutem Grund gibt es nur sehr sehr wenige inhaltliche Meinungsäußerungsverbote, wie etwa die Leugnung des Holocaust (m.E. ein Fehler, man hätte die Leute sich einfach selbst lächerlich machen lassen sollen, aber ich sehe das natürlich aus der Perspektive von 2021, nicht 1949).

    Bei einem Blog wie diesem hier ist natürlich besonders interessant, welche Schlussfolgerungen Sie aus dieser Bestandsaufnahme für zukünftige Investitionen ziehen.

    Weniger, was akut Corona angeht, sondern eher, welche langfristigen Trends Sie sehen.
    Wird „Wokeness“ ein Maßstab für Investitionen werden?
    Wie wirkt sich die mangelnde Diskussionsfähigkeit, eigentlich eine Verdummung, aus?
    Wie die zunehmende Mystifizierung der Wissenschaft (Merkel und ihr Kreis von Schamanen)?
    Wie die Verdrängung von Rationalität durch Emotionalität, die Infantilisierung weiter Teile der Gesellschaft?
    Wie entwickelt sich die Wirtschaft in einem Land, in dem immer mehr Bewohner abhängig vom Staat sind?

    Ihre Prognosen würden mich da interessieren, zumal die bisherigen Beiträge, auch wenn sie – mit Recht! mal polemisch sind, immer sehr schön fundiert sind.

    1. Hallo greenbowlerhat,

      Prognosen sind natürlich schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen 😉 Da die beste Prognose des Börsenkurses von morgen der Kurs von heute ist, würden wir die derzeit sichtbaren Entwicklungen einfach linear fortschreiben, was als Methode selbst ja schon fehlerhaft ist. Dann sind die Antworten aber letztlich in den oben genannten Fragen schon enthalten. Tatsächlich spielen die genannten Fragen bei unseren derzeitigen Investmententscheidungen noch keine gewichtige Rolle. Bei zeitgeistigen Trendthemen wie „Wokeness“ ist denn auch zu fragen, ob diese Spielart nicht genauso gravierende innere Widersprüche hervorbringt, wie andere Weltanschauungen, und ob sie daran auch zugrunde gehen wird.

      Beste Grüße vom Atypisch Still Blog

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